UMGANG MIT SCHMERZMITTELN
PATIENTEN-INFORMATIONSBROSCHÜRE
CHRISTOPH MAIER & ANDREAS SCHWARZERRedaktionelleBearbeitung: Judith Schönhoff
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INHALTSVERZEICHNIS
1 VORWORT 52 WIE ENTSTEHEN SCHMERZEN? 72.1 Schmerzen sind einSinneseindruck 72.2 Vom Reiz zur Schmerzwahrnehmung 72.3Schmerzsensibilisierung 72.4 Schmerzarten 82.4.1 Gewebeschmerzen82.4.2 Nervenschmerzen 82.5 Seelische Schmerzen 92.6 ChronischeSchmerzen 102.6.1 Chronifizierter Schmerz 112.6.2 Schmerzgedächtnis113 SCHMERZERKRANKUNGEN 134 SCHMERZMEDIKAMENTE 174.1 Was sindSchmerzmittel? 174.1.1 Welches Schmerzmittel ist das Richtige?184.1.2 Starke und schwache Schmerzmittel? 184.2 Nicht-Opioide194.2.1 Paracetamol 194.2.2 Metamizol 204.2.3 Traditionelleentzündungshemmende Medikamente (NSAR) 214.2.4 Coxibe 234.2.5Flupirtin 244.3 Ko-Analgetika (Medikamente bei Nervenschmerzen)244.3.1 Antidepressiva 254.3.2 Antikonvulsiva 264.4 Opioide 284.4.1Allgemeine Gesichtspunkte 284.4.1.1 Vorteile der Opioide in derSchmerztherapie 284.4.1.2 Opioide bei Atemnot 294.4.1.3 Nachteileder Opioide in der Schmerztherapie 304.4.1.4 Abhängigkeit, Suchtund Opioide 304.4.2 Einnahmeregeln 314.4.2.1 Langwirksame Opioide314.4.2.2 Wann sind schnell freisetzende Opioide sinnvoll?324.4.2.3 Vor- und Nachteile der Opioidpflaster 334.4.2.4Kombinationen von mehreren Opioiden 334.4.2.5 Kombinationen vonOpioiden mit anderen Schmerzmitteln 344.4.2.6 Kann ein Wechsel derOpioide sinnvoll sein? 344.4.2.7 Dosissteigerung 344.4.2.8Rückenmarknahe Opioidtherapie 354.4.2.9 Beendigung derOpioidtherapie 35
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4.5 Besonderheiten einzelner Opioide 364.5.1 Tramadol 364.5.2.Tilidin plus Naloxon 364.5.3 Tapentadol 374.5.4 Morphium undHydromorphon 374.5.5 Oxycodon und Oxycodon plus Naloxon 384.5.6L-Methadon 394.5.7 Buprenorphin 394.5.8 Fentanyl 404.6. Lokalanzuwendende Schmerzmittel 414.6.1. Salben mit tNSAR 414.6.2.Lokale Anwendung von Betäubungsmitteln (Lokalanästhetika) 414.6.3.Örtlich anzuwendendes Capsaicin 424.7. Triptane 425 ÜBERSICHT ZUNEBENWIRKUNGEN VON MEDIKAMENTEN, DEREN BEHANDLUNG UND VORBEUGUNG455.1 Müdigkeit/Konzentrationsstörungen 455.2Medikamentenabhängigkeit und Suchterkrankung 455.3 Verstopfung465.4 Juckreiz 475.5 Schwitzen 475.6 Asthma 475.7 UnerwünschteStimmungsänderungen 485.8 Störungen der Sexualfunktion 485.9 Ödeme485.10 Zeichen der Überdosierung 496 WELCHE ERKRANKUNGENBEEINFLUSSEN DIE VERTRÄGLICHKEIT VON SCHMERZMITTELN? 516.1Erkrankungen der Niere und der Leber 516.2 Allergien 526.3Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten 526.4 Seelische Gründeder Unverträglichkeit 527 HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ZUR EINNAHME VONSCHMERZMITTELN 557.1 Sind „schwache“ Schmerzmittel ungefährlicherals „starke“? 557.2 Darf ich unter Schmerzmitteln Auto fahren?557.3 Darf ich unter Schmerzmitteln arbeiten? 557.4 Wie langesollen Schmerzmittel eingenommen werden? 557.5 Wann darf manSchmerzmittel absetzen? 567.6 Soll man rezeptfrei erhältlicheSchmerzmittel verwenden? 567.7 Ich komme ins Krankenhaus – soll ichdie Schmerzmedikamente weiter nehmen oder absetzen? 567.8 Darf manSchmerzmittel in der Schwangerschaft und Stillzeit einnehmen?57
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1 VORWORT
Sie haben häufiger Schmerzen und Ihr Arzt hat Ihnenschmerzlindernde Medikamente verschrieben? Vielleicht kaufen Siesich aber auch öfter Schmerzmittel, die man rezeptfrei erwerbenkann? Oder vielleicht machen Sie sich Sorgen, ob Schmerzmittel fürSie geeignet sind, ob sie langfristige Gefahren beinhalten und Siefragen sich, was Sie dafür tun können, damit das Risiko auch beilängerer Einnahme möglichst gering ist? Vielleicht möchten Sie auchwissen, warum Ihr Arzt bestimmte Medikamente bei bestimmtenSchmerzen verschreibt oder worauf Sie selbst achten können, wennSie Schmerzmittel einnehmen? Vielleicht haben Sie auch nur Angst,von diesen Medikamenten abhängig zu werden, vor allem, wenn es sichum stark wirksame Mittel wie Morphium oder andere Opioide handelt?Dann ist diese Broschüre für Sie gedacht. Sie wendet sich anBetroffene und ihre Angehörigen, die Schmerzmittel benötigen odersich über diese informieren möchten. Diese Broschüre erklärt nichtnur die Vorteile verschiedener Medikamente, sondern auch derenGefahrenpotenzial. Das soll keine Ängste verursachen, sondern zueinem kritischen Umgang mit Schmerzmitteln beitragen und dazuführen, dass niemand, der diese Medikamente braucht, aus Angst vorRisiken darauf verzichtet. In diesem Buch wird erklärt, wie man alsBetroffener selbst die Risiken vermindern kann. Schmerzmittel sindwirksame Substanzen, die auch Nebenwirkungen haben. Erkennt derArzt diese rechtzeitig, sind sie in der Regel aber beherrschbar. Inbestimmten Fällen muss das Medikament jedoch gewechselt oderabgesetzt werden.
Vorurteile und unbegründete Ängste führen dazu, dassSchmerzmittel bisweilen zu spät oder gar nicht verschrieben odereingenommen werden. Aber Leichtsinn ist im Umgang mit diesenPräparaten ebenso wenig angebracht. Diese Broschüre informiertdeshalb gleichermaßen über Nutzen und Risiken vonSchmerzmitteln.
Bochum 2011
Das Autorenteam
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2 WIE ENTSTEHEN SCHMERZEN?
2.1 Schmerzen sind ein SinneseindruckSchmerzen entstehen in derFolge einer tatsächlichen oder drohenden Gewebsschädi-gung, diedurch unterschiedliche Einflüsse hervorgerufen werden kann, wiealltägliche schädliche Reize (zum Beispiel Hitze), aber auchErkrankungen oder Sauerstoffmangel und Entzündungen. In diesenFällen produziert der Organismus im verletzten Gewebeschmerzauslösende Substanzen. Nicht nur eine wirkliche Verletzungkann Schmerzen auslösen, sondern auch die Erwartung einerkörperlichen Schädigung; der Übergang zwischen körperlichbegründbaren und seelisch erklärbaren Schmerzen ist dabei fließend.Es gibt Experimente, die diese Zusammenhänge beschreiben: Soklagten beispielsweise Personen über Nackenschmerzen, denenvorgetäuscht wurde, einen Aufprallunfall zu haben. Diese Schmerzenerklären sich aus dem Zusammenspiel von körperlichen Reak-tionen,zum Beispiel der schmerzhaften Muskelanspannung, und seelischenVorgängen, wie zum Beispiel der Angst vor dem Aufprall.
2.2 Vom Reiz zur SchmerzwahrnehmungSchmerzen werden als bewussteEmpfindung wahrgenommen, wenn in der Haut oder in anderen Organenso genannte Rezeptoren – das sind besonders empfindlicheNerven-endigungen – erregt werden. Es gibt eine Vielzahlverschiedener Rezeptoren, zum Beispiel für Hitze, für Berührungs-oder für Druckreize. Bei ihrer Aktivierung kommt es zu einerSchmerzweiterleitung über die Nerven in das Rückenmark.Schmerzrei-ze werden hier »bevorzugt«, gleichsam mit besondererAlarmstufe, weitergeleitet und im Gehirn verarbeitet. Bei jedemSchmerz kommt es zu einem solchen Prozess. Bei sehr starken undsich wiederholenden Schmerzreizen reagieren die beteiligtenNer-venzellen im weiteren Verlauf auch schon auf geringere Reizeund werden immer emp-findlicher. Diesen Vorgang nennt manSensibilisierung. Den umgekehrten Vorgang, bei dem das Gehirnlernt, Schmerzreize zu ignorieren, nennt man Anpassung oderAdaption. Sowohl die Adaption als auch die Sensibilisierung kenntman aus dem Alltag: So wird sehr warmes Badewasser nach wenigenMinuten nicht mehr als schmerzhaft empfun-den. Bei einerSensibilisierung ist diese natürliche Anpassung gestört: Nach einemSon-nenbrand löst sogar angenehm temperiertes Wasser Schmerzenaus.
2.3 SchmerzsensibilisierungDie Sensibilisierung ist zunächsteine nützliche Reaktion, da sie dem Schutz und der Ruhigstellungdient. Je länger die Rezeptoren jedoch erregt werden und je stärkerdie Schmerzen sind, desto mehr Gehirn- und Rückenmarkregionenwerden beteiligt. Zudem werden weitere Rezeptoren – die sogenannten schlafenden Rezeptoren – oder solche, die im Normalfallnur für Berührungsreize zuständig sind, aktiviert. In dieserSituation empfindet ein Patient auch in Ruhe Schmerzen, also auchdann, wenn keine äußeren Reize mehr auftreten.
Das Schmerzempfinden
ist biologisch wichtig, denn
der Schmerz hat eine Warn-
funktion, die uns signalisiert,
die erkrankte Körperregion
ruhig zu stellen, um so die
Heilung zu beschleunigen.
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Der Prozess einer ausufernden Sensibilisierung kann als Beginnvon chronischen Schmer-zen betrachtet werden. Allmählich ändertsich die Wahrnehmung der Schmerzen und diese bleiben unabhängig vonder vormaligen Ursache erhalten: Der Schmerz verliert seineanfängliche Warnfunktion. Die Therapie versucht nun mitMedikamenten und an-deren Verfahren, zum Beispiel psycho- undphysiotherapeutischen Maßnahmen, solche ausufernden Fehlreaktionendes Gehirns zu dämpfen oder diesen entgegenzuwirken. Auf dieseWeise werden die biologischen und psychologischen Fähigkeiten jedesMen-schen zur Schmerzunterdrückung wieder gestärkt.
2.4 SchmerzartenÄrzte unterscheiden Nervenschmerzen beiNervenerkrankungen oder -verletzungen und andere Gewebeschmerzen,bei denen schmerzauslösende Reize auf das Gewebe ein-wirken wie beiVerletzungen, Sauerstoffmangel oder Entzündungen. Diese Schmerzennennt man auch Nozizeptorschmerzen, weil hier am Beginn eineReizung der Schmerz-rezeptoren (= Nozizeptoren) im Gewebe denSchmerz auslöst.
2.4.1 Gewebeschmerzen Die verschiedenen Schmerzformenunterscheiden sich bisweilen auch in den typischen Symptomen:Entzündungsschmerzen sind oftmals pochend und verursachen eintypisches Wärmegefühl, Herzschmerzen gehen häufig mit einercharakteristi schen Aus-strahlungen in die linke Schulter, Luftnot,starken Angstgefühlen und einem Druckgefühl in der Brust einher;Eingeweideschmerzen sind je nach ihrer Ursache entwederdumpf-drückend oder treten in Form von so genannten Kolikenanfallartig und mit wellenartig zunehmender Schmerzintensitätauf.
2.4.2 NervenschmerzenDie bislang beschriebenen Schmerzen setzenein intaktes Schmerzleitsystem im Körper voraus. Wenn dasschmerzverarbeitende System, also das Nerven system (Nerven,Rü-ckenmark und Gehirn), jedoch selbst durch Erkrankungen oder Verletzung ge schädigt ist, können sich spezielle Schmerzbilderentwickeln, die so genannten Nervenschmerzen (Fachausdruck:»Neuropathische Schmerzen«). Hier führen Fehlimpulse oderImpulsver-arbeitungsstörungen aus dem Körper im Rückenmark oderGehirn zu Zuständen, die dann von unserem Bewusstsein alsschmerzhaft (miss-)verstanden werden.
Nervenschmerzen äußern sich anders als die oben beschriebenenSchmerzen: Die Pa-tienten berichten von brennenden odereinschießenden Schmerzen, zum Beispiel bei einer Gürtelrose oderbei der Erkrankung vieler Nerven (Polyneuropathie), die alsSpät-folge des Diabetes mellitus auftreten kann. Ein weiteresbekanntes Beispiel für Nerven-schmerzen sind Phantomschmerzen: Hierverspürt der Patient nach einer Amputation weiterhin Schmerzen inden nicht mehr vorhandenen Gliedmaßen. Auch die Schmerzen
Die Unterteilung ist
wichtig, weil die Behandlung
von Nervenschmerzen mit
den bekannten Medikamenten
oftmals unbefriedigend ist,
so dass hier auf andere
Schmerz mittel zurück-
gegriffen werden muss.
Es ist für den Arzt sehr wichtig,
dass Sie ihm die einzelnen
Symptome beschreiben und
zwischen Schmerzen und
weiteren, eher unangenehmen
Begleitsymptomen unterschei-
den. Dieses hilft bei der Diag-
nose und vermindert das Risiko
einer falschen Therapie!
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Umgekehrt gilt aber auch,
dass die Art der psychischen
Störungen genauso sorg-
fältig diagnostiziert werden
muss wie eine körperliche
Er krankung. Die Diagnose
einer psychischen Störung
sollte nicht nur deshalb gestellt
werden, weil ein Arzt keine
körperliche Ursache findet.
nach einem Schlaganfall oder nach einer Nervenverletzung gehörenin diese Gruppe. Nervenschmerzen sind oft mit sehr belastendenMissempfindungen verbunden. Die-se können als Ameisenlaufen, alsschraubstockartig oder als pelzig beschrieben werden, manchmaltritt auch ein quälender Juckreiz auf. Typisch für Nervenschmerzenist, dass sie bisweilen nur (oder zusätzlich) als Attackenauftreten, also als schmerz-hafte, manchmal nur Sekunden andauernde»Blitze« wie bei der Trigeminusneural-gie. Eine weitereBesonderheit des Nervenschmerzes ist, dass neben den Dauer- undAttackenschmerzen, die ohne äußeren Anlass auftreten können, auchBerührungen oder leichte Temperaturänderungen Schmerzen auslösenkönnen (Fachausdruck: Hy-peralgesie oder Allodynie). Bereits dieBerührung mit der Bettdecke oder ein leich-ter Kältehauch kann alsschmerzhaft empfunden werden. Die genaue Störung kann heute sehrgut in speziellen Laboren ermittelt werden, in denen eineQuantitati-ve Sensorische Testung (QST) durchgeführt wird (Listeder zertifizierten Labore: www.certkom.com/index.php?id=51).
Sehr häufig sind auch Mischformen beider Schmerzarten: Wenn einPatient beispiels-weise Knieschmerzen aufgrund seiner chronischenArthrose hat (Gelenkverschleiß; vgl. dazu Tabelle 1, S. 13 ff.),können sich nach einem Schlaganfall seine Beschwerden im Knieverstärken. Dieses liegt dann nicht an dem Fortschreiten derArthrose des Knie-gelenkes, sondern ist Folge einer zusätzlichenSchmerzverarbeitungsstörung im Gehirn nach dem Schlaganfall.
2.5 Seelische SchmerzenSeelische Störungen, insbesondere dieSchwermut (Depression), Angst und Paniker-krankungen, aber auchandere psychosomatische Störungen gehen überdurchschnittlich häufigmit Schmerzen einher. In manchen Fällen ist deren Ursache teilweisezugleich auch körperlich erklärbar, aber erst die psychischeVerfassung des Patienten erklärt die Schwere der Beschwerden undvor allen Dingen auch das Ausmaß der damit entste-hendenPersönlichkeits- und Verhaltensveränderung. Hier spricht man voneiner psychi-schen Folgeerkrankung des Schmerzes.
Es gibt jedoch auch andere, vermutlich überwiegend nur seelischbegründbare Schmerz-zustände: Diese nennt der Arzt oder Psychologe»schmerzhafte Somatisierungsstörun-gen«. Sie sind für den Patientenselbst außerordentlich qualvoll. Sie haben nichts mit Simulationoder Einbildung zu tun. Typischerweise sind diese Beschwerden miteinem Wechsel der Schmerzorte verbunden, d. h. die Betroffenenklagen abwechselnd über Muskelschmerzen am Bein oder am Arm undmanchmal wandern die Schmerzen auch durch den Körper. In vielenFällen haben die Patienten sowohl körperliche wie seelischbegründbare Schmerzen.
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Solche Schmerzzustände können ein erster Warnhinweis auf eineDepression sein, die früh erkannt auch besser behandelt werdenkann. Wenn ein solcher Zusammenhang übersehen wird, weist dieKrankengeschichte der Patienten nicht selten eine Vielzahl vonletztlich überflüssigen körperlichen und apparativen Untersuchungenauf, bei de-nen häufig seltene Krankheiten vermutet, aber niegefunden werden. Gefährlich für den Patienten wird es, wenn dannersatzweise Erkrankungen unterstellt werden, obwohl alle seriösenUntersuchungsbefunde dagegen sprechen.
Manche Ärzte und Patienten unterliegen auch heute noch einemwissenschaftlich nicht mehr begründbaren Schwarz-Weiß-Denken: Siedenken schlicht, ein Schmerz hat ent-weder eine körperliche oderseelische Ursache.
Simulation bedeutet, dass ein Mensch bewusst und mit Absichteine Krankheit vor-täuscht, obwohl er gar keinen echtenLeidensdruck hat. Bei seelisch bedingten Schmer-zen ist esandersherum: Die Betroffenen leiden oftmals sogar stärker an ihrenSchmerzen als jene, bei denen die Ursache der Beschwerden klargeworden ist. Unsicherheit ist hier ein Schmerzverstärker.
2.6 Chronische SchmerzenMan unterscheidet akute, d. h. in derRegel weniger als 6 Monate dauernde Schmerzen von chronischen, alsosolchen, die länger bestehen. Der Übergang ist natürlich fließend.Es gibt eine Reihe von Krankheiten, die mit Schmerzen verbundensind, die Jahrzehnte anhalten. So ist zum Beispiel die Migräne einechronische Erkrankung mit eindeutig auch chronisch – alsowiederholt – auftretenden Schmerzen, die zumindest bei guterBehandlung in der Regel nur an wenigen Tagen im Jahr oder im Monatin Erscheinung treten. Ähnlich ist es beim Gelenkverschleiß(Arthrose) oder auch bei verschiedenen Rückenerkrankungen wie derOsteoporose, bei denen sich schmerzhafte Phasen mit solchen ohneSchmerzen abwechseln.
Diese Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Schmerzenist somit rela-tiv künstlich, und auch die Behandlungsprinzipiensind oftmals sehr ähnlich, da die Therapie immer von der Ursacheder Schmerzen, den Begleitumständen und der Lebens-situation einesBetroffenen abhängig ist. Bei chronischen Schmerzen ist es aber fürden Arzt und den Betroffenen wichtig, die voraussichtliche Dauerder Beschwerden bei den Therapieüberlegungen und der Auswahl derMedikamente zu beachten. So ist zum Bei-spiel die Gefährlichkeitvon entzündungshemmenden Präparaten, außer bei bestimmtenbegleitenden Erkrankungen, bei kurzfristiger Anwendung sehr gering.Bei mehrjähriger Anwendung können diese jedoch zu schwerenOrganschäden führen (siehe Kap. 4.2.3, S. 21). Daher muss eineSchmerztherapie für eine chronische Krankheit so geplant werden,dass auch bei langfristiger Behandlung die Risiken möglichst geringsind.
Je bedeutsamer die seelische
Störung für die jeweiligen
Schmerzen ist, umso weniger
helfen Schmerzmittel! Wenn
dann die Dosis dieser Medika-
mente weiter erhöht wird,
nehmen nur die Nebenwirk-
ungen zu. Ein gefährlicher
Teufelskreis beginnt.
Unabhängig von den seelischen
Ursachen der Schmerzen ist es
aber völlig falsch, wenn wegen
der Diagnose einer psychischen
Krankheit an genommen wird,
der Schmerz sei »einge bildet«
oder gar vorgetäuscht. Patien-
ten mit seelisch erklär baren
oder beeinflussten Schmerzen
sind keine Simulanten!
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Bei chronifizierten Schmerzen
darf sich die Schmerz therapie
nicht auf Medikamente
beschränken. Hier sollten
ärztliche, physiotherapeutische
und psychologische Verfahren
kombiniert werden.
2.6.1 Chronifizierter Schmerz Chronifizierung ist ein neuerBegriff in der Medizin, mit dem die Loslösung schon längerbestehender Schmerzen von der eigentlichen Grundkrankheitbeschrieben wird. Los-lösung bedeutet, dass der Schmerz das Lebender Betroffenen bestimmt und die kör-perlichen und seelischenFähigkeiten massiv einschränkt. Der Schmerz wird dann zumLebensinhalt. So ist zum Beispiel der Schlaf gestört und die körperliche sowie geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. DieserProzess beschränkt sich aber nicht nur auf bio-logische Vorgänge,wie zum Beispiel die Sensibilisierung im Nerven system. Auchpsychi-sche und soziale Folgen tragen erheblich zurBeeinträchtigung der Lebensqualität bei. Die sozialen Kontakte zuPartnern, zur Familie, zu Freunden und auch die beruflichenAktivitäten werden zunehmend eingeschränkt. Das Wesen der Schmerzenändert sich – sie sind nicht mehr ein Signal, sondern es entwickeltsich eine eigenständige Erkrankung. In dieser Situation könnensonst auch durchaus wirksame Schmerzmittel allein nicht mehrausreichend helfen, weil die dadurch ausgelöste Schmerzlinderungdurch die zu-vor aufgetretenen Veränderungen der Persönlichkeitkaum noch als nützlich empfunden wird.
2.6.2 SchmerzgedächtnisAuch das Schmerzgedächtnis ist ein neuerBegriff, der fälschlicherweise oft mit Chroni-fizierunggleichgesetzt wird. Manche Menschen befürchten sogar, dass ein zustarker und zu lange anhaltender Schmerz unumkehrbare Veränderungenim Gehirn hervor-ruft – dass also ein Schmerzgedächtnis entsteht,welches möglicher weise nicht mehr zu löschen ist.
Das ist eine falsche Vorstellung: Unser Gehirn speichert alleInformationen – angeneh- me ebenso wie unangenehme. Dadurch ändertsich auch das Gehirn, aber die Mehr zahl dieser Schmerzfolgen imGehirn wird sich bei wirksamer Therapie wieder nor malisieren.
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3 SCHMERZERKRANKUNGEN
SCHMERZERKRANKUNG BESCHREIBUNG HINWEISE ZUR SCHMERZ THERAPIE
KOPFSCHMERZEN
Migräne Zumeist nur an einzelnen Tagen auftretender, oftheftiger einseitiger Kopfschmerz mit typischenBegleit-symptomen.
Behandlung mit Migränemedikamenten nach Anweisungen desArztes.
Spannungskopfschmerz Eher Dauerkopfschmerz oder auf mehrere Tagebeschränkt, geringe Begleitbeschwerden, dennoch nicht selten starkeBelastung.
Im Regelfall keine medikamentöse Thera-pie, keine Opioide (evtl.Antidepressiva), besser lokal anwendbare Substanzen wiePfefferminzöl erproben. Vorsicht bei regelmäßiger Einnahme vonSchmerzmit-teln, wenn diese mehr als 15x im Monat eingenommenwerden, unbedingt zum Arzt gehen (siehe nächste Zeile).
Durch Schmerzmittel ausgelöster Kopfschmerz
Entsteht durch zumeist langjährige Einnahme von Schmerzmitteln(auch von Migränemitteln); fast immer Dauerkopfschmerz, der dieeigentliche Kopfschmerzerkrankung überlagert.
Behandlung durch den Arzt: Zunächst Ent-zugsbehandlung und dannNeueinstellung der Kopfschmerz therapie (falls notwen-dig). KeineOpioide! Psychotherapie zur Rückfallprophylaxe oft sinnvoll.
SCHMERZEN BEI DURCHBLUTUNGSSTÖRUNGEN
Durchblutungsstörungen der Beine oder Hände zum Beispiel beiarteri-eller Verschlusskrankheit (»Raucher-bein«, chronischeGeschwüre bei Durchblutungsmangel oder anderen Erkrankungen mitArterienverkal-kung)
In Abhängigkeit vom Krankheitsver-lauf entweder Schmerzen nurbei län-gerem Gehen (so genannte „Schau-fensterkrankheit“), nachtbetonter Schmerz auch in Ruhe, Besserung beim Herabhängen desBeines, oft unerträglicher Schweregrad.
Schmerztherapie dient hier nur zur Überbrückung, solange eineBehandlung der Grunderkrankung (Ver besserung der Durchblutung)möglich ist. Vorbeugende Maß nahmen sind sehr wichtig (Rauchenaufhören, Diabeteseinstellung). Über-brückend oder bei nicht mehrheilbaren Zuständen sind alle Schmerzmittel nach Wirkung sinnvoll,Opioide sind oft geeig-net! Zusätzlich ist eine spezielleSchmerz-therapie möglich.
Angina pectoris Typischerweise in die linke Schulter (oder insGesicht, in den Bauch oder in die rechte Schulter) ausstrahlenderSchmerz, oft mit starken Angst- und Vernichtungsgefühlen(Diagnosestel-lung durch Kardiologen).
Immer Behandlung der Grund krankheit! Immer vorbeugendeMaßnahmen einlei-ten! Zur Überbrückung ist eine Schmerz-therapieäußerst sinnvoll, zum Beispiel TENS, Opioide und andereSchmerzmittel. Bei schwerer Angina ist die rückenmark-naheElektrostimulation (SCS) wirksam.
Tabelle 1: Übersicht über typische Schmerzerkrankungen und ihreBehandlung
SCHMERZERKRANKUNG BESCHREIBUNG HINWEISE ZUR SCHMERZ THERAPIE
GELENKSCHMERZ
Arthroseschmerz („schmerzhafter Gelenkverschleiß“)
Je nach Krankheitsstadium in Ruhe mäßiger oder nur bei Belastungals Folge chronischer Veränderungen des Gewebes auftretenderSchmerz, dann allerdings bis hin zu heftigem Akutschmerz in und umdas betroffene Ge-lenk hinaus. Bei guter Behandlung kann sich dieakute Symptomatik oft wieder zurückbil-den.
Die orthopädisch-physikalische Behandlung ist entscheidend; nachlängerem Krankheitsverlauf kann auch eine Operation sinnvoll sein.Die Schmerztherapie ermöglicht beispiels-weise dieKrankengymnastik. Mittel der Wahl sind Entzündungshemmer mitschmerzlindernder (Neben-)Wirkung oder Opioide. ACHTUNG:Schmerzmit-tel sollten ohne regelmäßige Überprü-fung nicht aufDauer eingenommen werden!
Entzündliche Gelenkerkrankungen (zum Beispiel RheumatoideArthritis, Gelenkentzündungen durch Infektio-nen, beiSchuppenflechte (Psoriasis) und anderen ähnlichen Erkrankungen)
Das Beschwerdebild ähnelt dem der Arthrose, häufig sind vieleGelenke symmetrisch betrof-fen. Die Diagnose erfolgt durchFachärzte.
Im Vordergrund steht die Basisbe-handlung der Erkrankung durchden Rheumatologen, ergänzend oder zur Überbrückung kann eineSchmerz-therapie erfolgen.
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Chronische Muskel-, Sehnen und Kapselschmerzen
Sie treten häufig in Verbindung mit Gelenk-schmerzen auf. Einegenaue Diagnostik ist erforderlich (Orthopädie, Rheumatologie).
Die Grundregeln der Behandlung sind wie bei der Arthrose: DieGrund-erkrankung sollte zuerst behandelt werden; physikalischeVerfahren sind dabei zu bevorzugen. Eine Prävention durch Sport undKranken-gymnastik ist möglich, Analgetika sollten nur vorübergehendeingesetzt werden; Opioide sind nur selten angezeigt.
Muskelschmerzen bei verschiedenen Allgemein- oderNervenerkrankun-gen (zum Beispiel rheumatische Muske lerkrankungen,Polymyalgia rheumatica, Muskelschmerzen bei Morbus Parkinson oderMultipler Sklerose)
Muskelschmerzen als Symptom einer anderen Erkrankung erforderneine entsprechende Diagnostik. Sie können auf einerMuskeler-krankung beruhen (sehr selten), aber auch bei anderenErkrankungen des zentralen Ner-vensystems (zum Beispiel derParkinsonschen Erkrankung) auftreten. Sie müssen nicht, kön-nenaber mit einer Spastik verbunden sein (schmerzhafte Muskelkrämpfe),seltener sind schmerzhafte, nicht von der Willkürkontrolleabhängige Verkrampfungen zum Beispiel der Hand oder des Halses (sogenannte Dystoni-en, Schreibkrampf, Tortikollis). Die Diagnosestets durch einen Neurologen sichern lassen!
Solange eine fachneurologische oder rheumatologische Therapiemöglich ist, ist die Schmerztherapie immer nur Begleittherapie.Opioide können bei schweren Fällen sinn-voll sein, häufig helfenaber auch spezifische muskelkrampflösende Medikamente.
Tabelle 1 (Fortsetzung): Übersicht über typischeSchmerzerkrankungen und ihre Behandlung
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Fibromyalgie Eine viele Muskelgruppen umfassende allgemeineSchmerzhaftigkeit (besonders auf Druck), die oft mit Zeichen einerstarken psychischen Beeinträchtigung wie Ermattung, Schwäche,Antriebslosigkeit und vielen Missempfindungen verbun-den ist. DieUrsache ist bis heute unbekannt.
Schmerzmittel sind hier deutlich weniger wirksam als zumBeispiel eine körperliche Aktivierung durch Sport. Die Therapiesollte nur durch Fachärzte, Schmerztherapeuten und Psychologendurchgeführt werden. Opioide sind nicht angezeigt.
RÜCKENSCHMERZ
Nicht ausstrahlende Rückenschmerzen („unspezifische“)
Eine der häufigsten Schmerzformen, ohne dass die körperlicheUrsache radiologisch immer nachvollzogen werden kann. DieSchmerzintensität kann hoch sein.
Die Therapieoptionen sind von Schweregrad und Verlauf abhängig.Es gelten ähnliche Regeln wie bei der Arthrose: Die Grunderkrankungsollte soweit wie möglich behandelt und weiteren Rückenproblemendurch präventive Maßnahmen vorgebeugt werden (Krankengymnastik,sport-liche Betätigung, Gewichtsreduktion). Bei chronischenVerläufen ist die Teilnahme an von Ärzten, Psychologen undPhysiotherapeuten geleiteten Rückengruppen empfehlenswert.DieSchmerzmedikation ist abhängig von der Ursache: Entzündungshem-mersollten nur bei nachgewiesener, entzündlicher Komponente verwendetwerden, andere Nicht-Opioide und Opioide nur in Ausnahmefällen.
Rückenschmerzen mit spezifischer Ausstrahlung in die Beine oderArme (so genannte Radikulopathien)
Erkrankungen des Rückenmarks oder der Rückenmarkwurzeln (zumBeispiel bei einem Bandscheiben vorfall) führen zu typischenausstrahlen den Schmerzen im Versorgungsgebiet der jeweiligenNerven und sind von den viel häufigeren Schmerzen mit Ausstrahlungin das Gesäß, die Beine, den Nacken, die Schulter oder auch dieArme ohne eine solche Nervenbe-teiligung zu unterscheiden.
Die Behandlungsprinzipien ent-sprechen denen beim nichtaus-strahlenden Rückenschmerz, zusätzlich können Medikamente fürneuropathische Schmerzen von Nut-zen sein. In schweren Akutfällenkön-nen Kortisoninjektionen hier helfen.
Tabelle 1 (Fortsetzung): Übersicht über typischeSchmerzerkrankungen und ihre Behandlung
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4 SCHMERZMEDIKAMENTE
4.1 Was sind Schmerzmittel?Schmerzlindernde Substanzen(Fachausdruck: Analgetika) wirken auf unterschied liche Weise: Manunterscheidet diese Substanzen nach ihrem Wirkmechanismus oder nachden Angriffsorten der Substanzen im Nervensystem oder in anderenGeweben. Es gibt drei Hauptgruppen: 1. Nicht-Opioide: Zu dieserGruppe gehören Medikamente wie Paracetamol, Metamizol und alleentzündungshemmenden Substanzen (sog. NSAR1). NSAR sindbeispielsweise Ibuprofen, Diclofenac aber auch Acetylsalicyl säure(ASS) in höherer Dosis.2. Ko-Analgetika: Ko-Analgetika: Substanzenwie Gabapentin oder manche Antidepres-siva, die zusammen mittraditionellen Schmerzmitteln bei bestimmten Beschwerden (vor allembei Nervenschmerzen) schmerzlindernd wirken, stellen eine weitereGruppe dar.3. Opioide2: In dieser Gruppe werden Morphine und allemorphiumähnlichen Medika-mente (zum Beispiel Oxycodon,Hydromorphon, aber auch Tramadol) zusammengefasst.
Alle diese Schmerzmittel wirken unterschiedlich. Nicht-Opioidewie NSAR oder ASS hemmen vor allem Überträgerstoffe imNervensystem, die im Körper nach einer Ver-letzung oder bei einerEntzündung freigesetzt werden. Einige dieser Medi kamente sinddeshalb zudem auch entzündungshemmend, abschwellend undfiebersenkend. Sie ha-ben den besten Effekt bei all jenenschmerzhaften Zuständen, bei denen Schwellung, Entzündung und auchFieber eine Bedeutung haben. Opioide und Ko-Analgetika wirkenüberwiegend direkt an den Rezeptoren (spezielle Wirk orte anZellmembranen) im Ge-hirn oder Rückenmark. Sie lindern dadurch dieSymptome und Schmerzen und beeinflus-sen die Erkrankungssymptomewie Fieber oder Schwellungen nicht.
1 NSAR oder NSAID: Sammelbegriffe für alle Entzündungshemmer undAntirheumatika, außer Kortison (NSAR: Nicht-steroidaleAntirheumatika, NSAID: Non-steroidal antiinflammatoric drugs),traditio nelle NSAR (Abkürzung tNSAR) sind zum Beispiel Ibuprofen,Acetysalicylsäure (ASS) oder Diclofenac. Selektive COX2-Hemmer sindCelecoxib und Etoricoxib.
2 Opioide sind der Sammelbegriff für alle Substanzen, die wieMorphium an den Opioidrezeptoren wirken. Hierzu gehören künstlicherzeugte (wie Fentanyl oder Tramadol) und „natürliche“ Abkömmlingedes Opiums, die man früher Opiate nannte.
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4.1.1 Welches Schmerzmittel ist das richtige?Der Arzt wird seineEntscheidung über das einzusetzende Schmerzmittel abhängig ma-chenvon:1. der Schmerzursache (Kap. 2.4),2. der Schmerzstärke (Kap.4.1.2),3. Begleiterkrankungen, sofern sie die Verträglichkeit derMedikamente beeinflussen können (Kap. 6),4. den früherenErfahrungen des Patienten mit einem bestimmten Medikament, zumBei-spiel ob und welche Nebenwirkungen früher bereits auftraten(siehe auch Kap. 6.4).
4.1.2 Starke und schwache Schmerzmittel?Es gibt schwach undstark wirksame Schmerzmittel. Nicht-Opioide (im Allge meinen eherschwach wirksame Medikamente) werden oft bei leichten bis mäßigenSchmerzen eingesetzt, starke Opioide hingegen bei starken Schmerzen(zum Beispiel Krebsschmer-zen). Schwach wirksame Opioide, wie zumBeispiel Tramadol, wirken bei üblicher Dosis weniger stark alsMorphium.
Daher wird der Arzt zunächst die Ursache der Schmerzen bei derAuswahl der Medika-mente berücksichtigen. Bei sehr starkenSchmerzen wird man dann aber eher auf stark wirksame Substanzen wieMorphium, Oxycodon oder Fentanyl zurückgreifen. Zwischen denunterschiedlichen Präparaten, aber auch innerhalb der Gruppen vongleichartig wirkenden Schmerzmitteln, gibt es oft wichtigeUnterschiede hinsichtlich der Risiken und Nebenwirkungen. So werdengleichartig wirkende Substanzen im Organismus manchmalunterschiedlich abgebaut und ausgeschieden. Morphium istbeispielsweise ungünstig bei Nierenerkrankungen, währendgleichstarke Morphiumab-kömmlinge wie das Hydromorphon vonNierenkranken besser vertragen werden (siehe hier Kap. 6.1, S.51ff.). Hinweis: Im Folgenden werden ausgewählte wichtigeMedikamente beschrieben. Es werden Auskünfte über häufige undwichtige Nebenwirkungen und Gefahren gegeben. In bestimmten Fällenist es dennoch richtig, diese Medikamente trotz des Risikoseinzu-nehmen, dann aber sind engmaschige ärztliche Kontrollen sehrwichtig. Die angegebe-nen Dosierungen sind Anhaltspunkte, damit Sieabschätzen können, in welchem Bereich Sie mit ihrer Dosierungliegen. Abweichungen sind kein Beleg für einen Fehler Ihres Arztes,aber Sie sollten es im Gespräch mit ihm ansprechen.
Diese Einteilung in stark und
schwach wirksame Mittel sagt
nichts über die Wirksamkeit
des Mittels im Einzelfall aus.
Bei Gelenk- und Muskelschmer-
zen sind so genannte schwach
wirksame Mittel wie NSAR
sogar wirksamer als Morphium.
19
4.2 Nicht-Opioide
4.2.1 Paracetamol Wirkweise: Paracetamol ist ein schwachwirksames Schmerzmittel, das auch Fieber senken kann. Es hemmtzudem Entzündungsschmerzen, allerdings weniger stark als die NSAR(siehe folgender Absatz 4.2.3). Daher wird es bei eher leichtenSchmerzen eingesetzt. Vorteile sind, dass keine Magen- undDarmgeschwüre oder Störungen der Blutgerinnung zu erwarten sind;ebenso werden die Aufmerksamkeit und Konzentrati-onsfähigkeitvergleichsweise wenig beeinflusst. Anwendungsregeln: DieVerträglichkeit ist im Allgemeinen sehr gut, weshalb es auch ohneärztliches Rezept erhältlich ist (zum Thema rezeptfreieSchmerzmittel Kap. 7.6, S. 56). Dennoch belastet Paracetamol nachneueren Forschungsergebnissen auf Dauer nachhaltiger den Organismus(Leber, Niere und Herz-Kreislaufsystem) als früher ge-dacht.Paracetamol ist also nicht harmlos und jeder Sie behandelnde Arztsollte wissen, dass Sie es einnehmen, auch wenn Sie es rezeptfreierstanden haben.
Paracetamol führt bei Überdosierung zu einem schweren, ofttödlichen Leber versagen. Daher darf man die Höchstdosis niemalsüberschreiten und muss die Medikamente si-cher vor anderen Menschen– vor allem vor Kindern – aufbewahren. Es ist die häufigste Ursacheeiner absichtlichen oder versehentlichen Arzneimittelvergiftung inDeutschland. Wirkeintritt: Die Wirkung von Paracetamol als Tropfen,Tabletten, Saft oder Zäpfchen beginnt 30 bis 60 Minuten nach derEinnahme und hält 3 bis 4 Stunden an. Dosierung: Pro Tag sollte manals Leber- und Nierengesunder nicht mehr als 4 x 500 mg, inbesonderen Fällen maximal 4 x 1000 mg einnehmen: Die maximalerlaubte, aus ärztli-cher Sicht aber nicht unbedenkliche Tagesdosisbeträgt 5000 mg. Bei jeder Lebererkran-kung ist die Dosis deutlichzu verringern.Nebenwirkungen: Es kann zu Blutdruckerhöhung,Blutbildveränderungen, selten zu all-ergischen Reaktionen undAsthma bronchiale kommen. Nierenschäden sind bei länger-fristigerEinnahme in hoher Dosierung möglich.Laborkontrollen: Bei sonstGesunden sind Laborkontrollen nicht erforderlich. Bei Ver-dacht aufeine Lebererkrankung sollten Kontrollen zwei Wochen nach Beginn derThera-pie, sonst nur bei Verdacht auf Nebenwirkungen durchgeführtwerden.Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkung: BeiLebererkrankungen, bei verstärk-tem Alkoholkonsum und beiNierenerkrankungen sollte Paracetamol gar nicht oder nur inAusnahmefällen unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle mit deutlichreduzierter Do-sierung gegeben werden. Die gleichzeitigeregelmäßige Einnahme von Flupirtin (siehe S. 24) ist gefährlich unddaher nicht zulässig. Wenn Sie weitere Medikamente als Pa-racetamoleinnehmen, sollten Sie Ihren Arzt nach der Verträglichkeit beigleichzeitiger Einnahme von Paracetamol fragen.
Paracetamol ist ein schwach
wirksames, aber leider nicht
risikofreies Medikament. Man
sollte es wie fast alle Nicht-
Opioide immer nur zeitlich be-
fristet einsetzen, also maximal
drei bis sechs Monate, wenn
es nicht ausdrücklich anders
mit dem Arzt besprochen
wurde. Informieren Sie Ihren
behandelnden Arzt, wenn Sie
Paracetamol einnehmen, da
es Wechsel wirkungen mit
anderen Medikamenten
geben kann.
20
4.2.2 MetamizolWirkweise: Metamizol ist ein stark wirksames undfiebersenkendes Schmerzmittel. Es ist besonders gut wirksam beiErkrankung der Eingeweide (zum Beispiel Gallenkoliken), daher auchbei Nieren-, Blasen- und Regelschmerzen. Weiterhin ist auch dielängerfris-tige Einnahme bei vielen Arten von Tumorschmerzensinnvoll. Metamizol wirkt oft we-niger gut bei Knochen- undGelenkschmerzen. Für Patienten, die keine NSAR vertragen (zumBeispiel Ibuprofen, Diclofenac) ist es eine mögliche Alternative.Anwendungsregeln: Metamizol kann bei Beachtung weniger Regeln(siehe unten) auch längerfristig eingenommen werden, dabei ist dieVerabreichungsform (Tabletten oder Tropfen)unerheblich.Wirkeintritt: Die Wirkung setzt etwa 30 Minuten nachder Einnahme ein (bei Tropfen manchmal etwas schneller) und hält 3- 4 Stunden an. Man kann Metamizol regel mäßig (das heißt alle 4 -6 Stunden) oder nur bei Bedarf einnehmen. Dosierung: Pro Tag sollteman nicht mehr als 4000 mg einnehmen, besser weniger. Das sind 4 x1 (bis 2) Tabletten (500 oder 1000 mg) oder 4 x 20 (bis 40)Tropfen. Die Tages-höchstdosis beträgt 4000 mg. Nebenwirkungen:Vereinzelt kann es zu Übelkeit und Magenbeschwerden kommen.Bisweilen hilft der Wechsel von Tropfen auf Tabletten oder aufandere Präparate. Sehr selten treten Beeinträchtigungen vonWachheit und Konzentrationsfähigkeit auf; Glei-ches gilt für dasAuftreten asthmatischer Beschwerden: Patienten mit entsprechenderVorgeschichte müssen besonders vorsichtig sein. Bei allergischenHautreaktionen und Schwellung zum Beispiel um die Augen herum(Ödem) muss Metamizol sofort abgesetzt werden. Sehr selten kommt eszu bedrohlichen Blutbildveränderungen mit Abnahme der wei-ßenBlutkörperchen (Fachausdruck: Agranulozytose). Wenn dieses zu späterkannt wird, kommt es zu Entzündungen (z.B. im Mund,Mandelentzündung) und schweren Störun-gen der Immunabwehr. DieseNebenwirkung tritt fast immer in den ersten Monaten auf, kann aberauch bei erneuter Einnahme auftreten, auch wenn Metamizol frühergut vertragen wurde. Daher ist bei unerklärlichem Fieber undbesonders bei Hals- oder Mandelentzündungen in den ersten Wochennach der Einnahme umgehend der Haus-arzt aufzusuchen, der durcheine Blutbildanalyse die Diagnose stellen kann. Nach dem Absetzenwird sich die Immunstörung rasch bessern, in schweren Fällen musseine Ge-gentherapie mit blutzellfördernden Medikamenten imKrankenhaus erfolgen. Laborkontrollen: Blutbildkontrollen solltenzu Beginn, nach zwei Wochen und erneut nach drei Monaten Therapie,später nur bei Verdachtszeichen, erfolgen.Gegenanzeigen undAnwendungsbeschränkung: Patienten mit bekannter Allergie ge-genMetamizol (Vorsicht auch wenn andere Arzneimittelallergien bekanntsind) dürfen das Medikament nicht einnehmen. Leber- oderNierenkranke sollten nur eine reduzierte Dosis einnehmen, die derArzt festlegen muss.
21
4.2.3 »Traditionelle« entzündungshemmende Medikamente (NSAR)Wirkweise: Traditionelle NSAR (Abkürzung: tNSAR)3 sind die amhäufigsten verwende-ten, teilweise auch rezeptfrei erhältlichenSchmerzmittel, die besonders bei kurz dauern-den Schmerzen, zumBeispiel nach Verstauchung oder bei Zahnschmerzen eingenommenwerden. Diese Mittel sind hochwirksam bei Muskel- undGelenkschmerzen, aber auch bei Rheuma- und Tumorschmerzen. Siewirken schmerzlindernd, entzündungshemmend und abschwellend. Geradeweil diese Substanzen auf die körpereigenen Entzündungs-botenstoffewirken, helfen sie besonders gut bei Schmerzen durch Entzündungenund bei verletzungsbedingten Schwellungen.Anwendungsregeln: DieStärke der einzelnen Substanzen (siehe Anm. 3) ist nicht sehrunterschiedlich. Sie wirken allerdings unterschiedlich schnell undunterscheiden sich vor allem in ihrer Verträglichkeit und ihremRisikoprofil (siehe unten). Acetylsalicylsäure (ASS), die ab einerDosis von über 100 mg/Tag auch als Schmerzmittel wirksam ist, istsehr verbreitet, hat aber im Prinzip die gleichen Risiken odersogar noch höhere Risiken wie die übrigen tNSAR. tNSAR gibt es alsTabletten, Tropfen und Zäpfchen, die sich in Wirkung undNebenwirkungen nicht wesentlich unterscheiden.
Bei kurzzeitigem Einsatz von wenigen Tagen oder Wochen ist dieVerträglichkeit von tNSAR bei sonst Gesunden gut und dieKomplikationsrate niedrig. Dieses Verhältnis von Nutzen und Risikoändert sich aber deutlich bei Menschen mit erhöhtem Risiko (alteMenschen, Menschen mit Blutungsneigung, vorbekanntenMagengeschwüren oder Herz-Kreislauferkrankungen) und generell beilangfristiger Einnahme über Monate hin-aus (siehe unten). BeiPatienten mit Kopfschmerzen kann die mehrjährige regelmäßige (mehrals 10 – 15 Tage dauernde) Einnahme von NSAR (und anderenNicht-Opioiden) zu einem Dauerkopfschmerz führen, der erst durcheine Entzugsbehandlung verschwindet
Wirkeintritt: Die Wirkung setzt bei den meisten tNSAR nach ca.30 Minuten ein und hält zwischen 4 und 6 Stunden an, bei ASS kanndurch spezielle Präparate der Effekt schneller eintreten. Beivielen tNSAR gibt es auch langwirksame Zubereitungen mit 8 –12stündiger Wirksamkeit.Dosierung: Die Dosierungen sind bei deneinzelnen Substanzen sehr unterschiedlich und können deshalb nichtalle genannt werden. Für Ibuprofen beträgt die wirksameEin-zeldosis 400 mg, eine höhere Dosierung bis 800 mg ist möglich.Die Tageshöchstdosis von 2400 mg sollte jedoch nie überschrittenwerden. Bei Diclofenac liegt die Dosis viel niedriger (50 – 75 mg),die Tageshöchstdosis beträgt 150 mg. Die Tageshöchstdosis bei ASSliegt bei 3000 mg.
Die früher üblichen intra-
muskulären Injektionen mit
NSAR sind nicht mehr zeit-
gemäß und aus vielen
Gründen gefährlich.
Bei allen NSAR-Präparaten
sollten die Vorschriften des
Arztes und die Dosishinweise
im Beipackzettel strikt befolgt
werden. Die jeweilige Tages-
höchstdosis sollte auch bei
starkem Schmerz nicht über-
schritten werden.
tNSAR sind hochwirksame
Medikamente mit vielen
Arzneimittel-Wechselwirkun-
gen. Informieren Sie daher
jeden Sie behandelnden Arzt,
wenn Sie diese Medikamen-
te häufig einnehmen. Bei
längerer oder häufigerer
Einnahme sollte eine ärztliche
Über wachung und Beratung
gesichert sein.
3 In Deutschland erhältliche tNSAR sind u.a. Ibuprofen,Diclofenac, Ketoprofen, Naproxen. Auch Acetylsali-cylsäure (ASS)wirkt über den gleichen Mechanismus schmerzlindernd.
22
Nebenwirkungen: Alle Medikamente dieser Gruppe erzeugen eineverstärkte Blutungs-neigung. Kommt es zu irgendeiner Blutung durcheine Verletzung, Operation oder durch ein Geschwür, blutet eslänger und unter Umständen heftiger. Gefürchtet sind vor allemBlutungen im Magen-Darm-Trakt, denn diese Medikamente behindernauch den norma-len Schleimhautschutz im Magen und Dünndarm. DieGeschwüre (Ulkus) können auch im Dickdarm auftreten. Da dieseMittel auch die Gerinnung stören, bluten Geschwüre stärker undführen so manchmal zu lebensbedrohlichen Komplikationen. BeiGesunden sind schwere Komplikationen relativ selten, jedoch steigtdas Risiko von Magen- und Darmblutungen mit zunehmendem Lebensalterund auch bei Magen- oder Darmge-schwüren in der Vorgeschichtedeutlich an.
Zum Schutz vor Komplikationen verschreiben viele Ärzte zugleichschleimhautschüt-zende Medikamente (sog. Protonenpumpen-Hemmer),vor allem bei Patienten mit erhöhtem Risiko einer Magen- undDarmblutung. Einen vollständigen Schutz gegen Darmblutungen gibt esaber nicht. Das Risiko von Dickdarmblutungen wird durch„Ma-genschutzmittel“ nicht verringert.
In den letzten Jahren haben sich die Warnungen bestätigt, dasseine längerfristige Ein-nahme von NSAR gehäuft zu Nierenschädenführt und auch das Hochdruck- und Herz-infarktrisiko erhöht ist.Bei Neigung zu Allergien und Asthma steigt auch das Risiko vonschweren Allergien oder Arzneimittel-Asthma; es kann zudem zuWassereinlagerungen (Unterschenkelödeme) kommen.
Laborkontrollen: Blutbild, Gerinnungs-, Leber- und Nierenwertesollten zu Beginn, nach 1 – 4 Wochen, sowie unter Langzeittherapiemindestens alle 6 Monate und bei Ver-dachtszeichen auf eineNebenwirkung vorgenommen werden.Gegenanzeigen undAnwendungsbeschränkung: Bei Nierenerkrankungen sollte auf alleentzündungshemmenden Schmerzmedikamente (einschließlich Coxibe,siehe S. 23) vollkommen verzichtet werden. Bei früherenMagen-Darmblutungen und Lebererkrankungen, ebenso wie bei allenErkrankungen mit einem erhöhtem Risiko ei-nes Herzinfarkts, solltendiese Präparate nur in Ausnahmefällen genommen werden und sindnicht Mittel der ersten Wahl. Gleiches gilt bei hohem Blutdruck undbei gleichzeiti-ger Einnahme von Gerinnungshemmern (siehe oben S.21).
Alle anderen Medikamente,
die die Gerinnung oder den
Schleimhautschutz beeinträch-
tigen, verstärken bei gleich-
zeitiger Einnahme von NSAR
das Risiko einer gravierenden
Blutung. Hierzu gehören
kortisonhaltige Tabletten
oder Injektionen, Gerinnungs-
hemmer sowie bestimmte
moderne Anti depressiva (sog.
SSRI, siehe auch Kap. 4.3.1).
Bei hohem Blutungsrisiko sollte
daher der Arzt gefragt wer-
den, ob die Schmerz therapie
nicht durch weniger riskante
Medikamente erfolgen kann.
Menschen über 60 Jahre und
alle mit früheren Magen- oder
Darmgeschwüren oder Darm-
blutungen sollten stets Magen-
schutzmittel zusätzlich zu den
traditionellen NSAR einnehmen.
Es sollte bei einer Langzeit-
therapie versucht werden,
immer wieder »Pausen« in der
Einnahme einzulegen, zum
Beispiel in Zeiten geringerer
Gelenkschmerzen auf andere
Medikamente wie Paracetamol,
Metamizol oder sonst auch auf
Opioide zurückzugreifen.
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4.2.4 CoxibeWirkweise: Die neueren entzündungshemmendenSchmerzmedikamente, die so ge-nannten Coxibe (in Deutschland alsTabletten zugelassen sind Celecoxib und Etoricoxib), wirken ähnlichund bei den gleichen Schmerzen wie die tNSAR, die im vorherigenKapi-tel beschrieben wurden. Coxibe wurden in der Hoffnungentwickelt, die typischen Ne-benwirkungen von NSAR wie z. B.Ibuprofen und Diclofenac zu vermeiden. Tatsächlich treten unterCoxiben seltener Magen-Darm-Blutungen auf. Daher sind sie eineAlterna-tive bei Risikofällen, zum Beispiel bei Patienten miterhöhtem Blutungsrisiko. Auch die Blutgerinnung wird von diesenMedikamenten nicht beeinflusst. Die übrigen Risiken im Hinblick aufdie Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind für die heuteerhältlichen Coxibe genau so hoch wie bei den „traditionellen“ NSAR(siehe vorheriges Kap., S. 21).Anwendungsregeln: Coxibe gibt es alsTabletten. Für eine rasch wirksame Kurzzeitthe-rapie bei akutenSchmerzen zum Beispiel nach Operationen kann Parecoxib als Infusiongegeben werden. Es gelten aber sonst die gleichen Anwendungsregelnwie oben für die sonstigen NSAR beschrieben: Bei kurzfristigemEinsatz ist die Verträglichkeit bei sonst Gesunden gut und dieKomplikationsrate niedrig. Dieses Verhältnis von Nutzen und Risikoverschlechtert sich jedoch bei Menschen mit erhöhtem Risiko undgenerell bei langfristiger Einnahme auch von Coxiben. Wirkeintritt:Der Wirkeintritt ist bei Etoricoxib nach 20 – 30 Minuten und hältca. 24 Stunden an, bei Celecoxib kann der Beginn der Wirkung bis zueiner Stunde dauern; die Wirkdauer beträgt 8 - 12 Stunden.Dosierung: Die empfohlene Dosierung für das Celecoxib beträgt 2 x200 mg pro Tag, für Etoricoxib 90 mg pro Tag (Tageshöchstdosis fürEtoricoxib: 120 mg, für Celecoxib 400 mg). Laborkontrollen:Kontrollen von Blutbild, Leber- und Nierenwerten sollten zu Beginnund nach 2 – 4 Wochen, sowie unter Langzeittherapie mindestens alle6 Monate und bei Verdachtszeichen für eine Nebenwirkungerfolgen.Nebenwirkungen: Magen- und Darmblutungen sind seltener alsbei tNSAR. Die negati-ven Effekte für die Nierenfunktion und dasRisiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sind aber ähnlich hoch (vgl.vorheriges Kapitel). Gerade am Anfang ist beim Einsatz von Coxibenauf eine Blutdruckerhöhung oder eine mögliche Wasseransammlung inden Beinen zu achten. Im Zweifelsfall ist das Medikament abzusetzenund der Hausarzt zu kontaktieren. Es sollte zu Beginn der Einnahmefür ca. drei Tage regelmäßig der Blut-druck kontrolliertwerden.Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkung: Hier gelten fastdie gleichen Einschrän-kungen wie bei allen NSAR (siehe S. 21).Eine Blutungsvorgeschichte ist jedoch keine zwingende Gegenanzeige.Wenn ein blutendes Magen- oder Darmgeschwür besteht, sind auchCoxibe abzusetzen, ansonsten sollte man im Falle früherer BlutungenMagen-schutzmittel einnehmen, die sonst bei Coxiben überflüssigsind.
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See AlsoAbilify 1mg/ml | 11874883Dolortriptan bei Migräne | 03029613Was tun gegen Stress? | Symptome und RisikofaktorenREMERGIL SolTab® 15 mg/-30 mg/-45 mg Schmelztabletten - PatientenInfo-Service4.2.5 Flupirtin Wirkweise: Flupirtin ist ein Nicht-Opioid miteiner schwachen muskelentspannenden Wirkung. Gerade bei Patientenmit muskulär bedingten Schmerzen können sich daraus Vorteileergeben. Flupirtin bietet zudem den Vorteil, dass esbedarfsorientiert einge-nommen werden kann. Anwendungsregeln:Flupirtin gibt es in zwei verschiedenen Tablettenvarianten – einerkurz- und einer langfristig wirksamen – und als Suppositorium(Zäpfchen). Flupirtin sollte bei regelmäßiger Einnahme nurzeitbegrenzt eingesetzt werden, in der Regel nicht mehr als 1-3Monate; darüber hinaus empfiehlt sich eine bedarfs orientierteEinnahme. Wirkeintritt: Sowohl die Wirkung der kurz- als auch derlangwirksamen Tabletten (eben-so wie die der Zäpfchen) setztrelativ schnell nach 30 – 45 Minuten ein und hält unge-fähr 6 – 8Stunden an.Dosierung: Die kurzwirksamen Tabletten (bzw. Zäpfchen)sollten im Regelfall dreimal täglich (das heißt 3 x 100 mg, beiZäpfchen 3 x 150 mg), die langwirksame Darrei-chungsform muss nureinmal täglich eingenommen werden. Die Tageshöchstdosis be-trägtbei allen Darreichungsformen 600 mg. Laborkontrollen: Bei längererEinnahme und bei jeder Dosiserhöhung sollten die Leber-werteregelmäßig kontrolliert werden, damit das Medikament beiauffälligen Werten abgesetzt werden kann.Nebenwirkungen: HäufigeNebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel und Mundtro-ckenheit.Darüber hinaus kann es bei einer Überdosierung oder längerfristigenAnwen-dung zu einer Erhöhung der Leberwerte und sehr selten zuHepatitis kommen, Einzelfälle mit Leberversagen sind beschrieben.Das Mittel kann zur psychischen und körperlichen Abhängigkeitführen (siehe dazu Kap. 5.2). Gegenanzeigen undAnwendungsbeschränkungen: Patienten mit bekannten Leber-, Gallen-oder bestimmten Muskelerkrankungen dürfen Flupirtin nichteinnehmen.
4.3 Ko-Analgetika (Medikamente bei Nervenschmerzen) BeiNervenschmerzen, zum Beispiel nach einer Nervenverletzung, beieiner Polyneu-ropathie oder bei einer Gürtelrose wirken die bisherbeschriebenen Medikamente oft-mals gar nicht oder nur ungenügend.Daher setzt man hier Präparate ein, die sonst von Neurologen beiPatienten mit Krampfanfällen oder Depressionen gegeben werden.Diese Substanzen nennt man auch Ko-Analgetika, weil sie oftzusammen mit ande-ren Schmerzmitteln verschrieben werden. Der Nameist eigentlich überholt, bei Ner-venschmerzen können sie auch alseinziges Medikament gegeben werden. Gerade die Kombination mitOpioiden (vgl. Kap. 4.4) ist oft sinnvoll. Die Dosierung ist beimEinsatz in der Schmerztherapie allerdings meist deutlich niedrigerals bei neurologischen Erkrankungen. Diese Medikamente wirken inder Schmerzthera-pie nicht als Beruhigungsmittel oder Schlafmittel.Gerade bei Antidepressiva steht diese Anwendung als Schmerzmitteljedoch nicht im Beipackzettel, so dass manche Patienten glauben,der Arzt wolle sie nur beruhigen, anstatt die Schmerzen zubehandeln.
Die Kombination mehrerer
Schmerzmittel ist nur dann
sinnvoll, wenn sich deren
Effekte gegenseitig ergänzen
und so die einzelnen Medika-
mente in jeweils sehr niedriger
Dosis gegeben werden können.
25
4.3.1 Antidepressiva Wirkweise: Bei Nervenschmerzen ist daskörpereigene schmerzhemmende System im Gehirn und Rückenmarkbeeinträchtigt (siehe dazu Kap. 2.4.2). Bestimmte Antidepres-sivawirken dem entgegen, da sie die Konzentration von körpereigenenBotenstoffen im Gehirn und Rückenmark erhöhen. Dadurch können dieSchmerzen besser verarbeitet werden. Die hierfür benötigte Dosisist deutlich geringer als die bei der Behandlung einer Depressionerforderliche (ca. zehnmal weniger). Einige moderne Antidepressiva,unter anderem so genannte SSRI wie Fluoxetin oder Citalopram, diebei der Behand-lung der Depression Vorteile haben, sind jedoch alsSchmerzmittel nicht wirksam. In der Schmerztherapie sind die„alten“ so genannten trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin4am besten untersucht. Von den neuen wirken Venlafaxin, Duloxetinund vermutlich auch Mirtazapin schmerzlindernd. Anwendungsregeln:Die Therapie beginnt mit einer sehr langsamen Steigerung derDo-sis. Es dauert bei allen Antidepressiva oft zehn und mehr Tage,bis die Schmerzen besser werden, während die Nebenwirkungen bereitsdirekt nach der ersten Einnahme auftre-ten können. Fast alleNebenwirkungen treten in der Anfangsphase stärker auf; vorallem
Müdigkeit, Stimmungsschwan-kungen und Gang- undBewe-gungsunsicherheiten können sehr ausgeprägt sein.Wirkeintritt:Es dauert bei allen Antidepressiva oft zehn und mehr Tage, bis dieSchmerzen weniger werden, während die Nebenwirkungen schon vorherauftreten können. Dosierung: Die Dosierungen sind bei den einzelnenSubs-tanzen sehr unterschiedlich, die üblichen stehen inTabelle
2. Höhere Dosierungen sind in der Psychiatrie üblich, in derSchmerztherapie jedoch selten sinnvoll. Normalerweise fängt man mitder niedrigsten Dosis (bei Amitrip - tylin sind es 10 mg pro Tag)an und steigert diese Dosis in Abhängigkeit von derVer-träglichkeit in der Regel nur bis 25 mg, manchmal auch bis 50mg. Diese Medikamente werden normalerweise abends vor demSchlafengehen eingenommen. Eine Ausnahme bilden Duloxetin undVenlafaxin. Ein gutes Kriterium, ob Sie dieses Medikament in derentsprechenden Dosis vertragen, ist die Wachheit, die Sie am frühenMorgen verspüren. Sollten Sie sich dauerhaft müde und antriebslosfühlen, ist möglicherweise die Dosis zu hoch gewählt.Eine höhereDosierung erhöht die Schwere der Nebenwirkungen, verbessert jedochnur selten die gewünschte Wirkung.
Antidepressiva sind immer für
eine Langzeittherapie gedacht,
eine Einnahme bei Bedarf ist
nicht sinnvoll, weil der Wirk-
eintritt zu lange dauert.
In der Phase der Eindosierung
sollten Sie nicht aktiv am Stra-
ßenverkehr teilnehmen oder
an Maschinen arbeiten.
MEDIKAMENT ÜBLICHEDOSIERUNG
MAXIMALEDOSIERUNG
Amitriptylin 25 mg 75 mg
Mirtazapin 15 mg 45 mg
Clomipramin 25 mg 75 mg
Desipramin 25 mg 75 mg
Duloxetin 60 mg 120 mg
Venlafaxin 75 mg 100 mg
4 Andere in Deutschland häufig verschriebene trizyklischeAntidepressiva zur Schmerztherapie sind das we-niger müde machendeDoxepin, sowie Clomipramin.
Tabelle 2: Tagesdosierungen von in der Schmerztherapie üblichenAntidepressiva
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Laborkontrollen: Kontrollen von Blutbild, Leberwerten sowie beiÄlteren und Herzkran-ken ein EKG (wiederholen nach Erreichen derEnddosis) sind vor der Therapie und im Abstand von 3 – 6 Monatenerforderlich.Nebenwirkungen: Hauptnebenwirkungen sind Müdigkeit undKonzentrations störungen. Mit der abendlichen Einnahme kann mandieses zur Verbesserung des Schlafverhaltens nutzen – im Regelfallist die Müdigkeit während des Tages dann weniger ausgeprägt.Weitere Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Sehstörungen,Störungen der Blase und sexuelle Funktionsstörungen.Herzrhythmusstörungen oder eine Herzschwäche sind bei niedrigerDosis bei Herzgesunden unwahrscheinlich.Gegenanzeigen undAnwendungsbeschränkung: Bei Patienten mit bekanntenHerz-rhythmusstörungen (hierauf sollten Sie Ihren Hausarzthinweisen) und anderen Herz-erkrankungen sollte stets vorBehandlungsbeginn und nach 3 – 6 Monaten ein EKG angefertigtwerden. Patienten mit Prostata-Beschwerden und Grünem Star(Glaukom) sollten diese Medikamente nicht einnehmen. Vorsicht istauch geboten, wenn andere Medikamente eingenommen werden müssen(zum Beispiel andere Anti depressiva, Neu-roleptika oderSchilddrüsenhormone). Unerwünschte Wechselwirkungen kann es auchmit Tramadol geben (siehe Kap. 4.5.1).
4.3.2 Antikonvulsiva Wirkweise: Einige Medikamente gegenKrampfanfälle (Antikonvulsiva) sind auch bei vielen Nervenschmerzenwirksam. Sie wirken über die Beeinflussung der Erregbarkeit derNervenzellen besonders bei blitzartigen oder attackenförmigenSchmerzen (zum Beispiel bei der Trigeminusneuralgie; siehe auchoben S. 9). Die für die Schmerztherapie wichtigsten Medikamentesind: Gabapentin, Pregabalin sowie das ältere MedikamentCarbamazepin5.Anwendungsregeln: Um Gangunsicherheit, Müdigkeit undKonzentrationsstörungen in der Anfangsphase zu vermeiden, ist einlangsames Einschleichen der Medikation mit Tabletten erforderlich.Die Dosis sollte also über Tage und bei älteren Menschen even-tuellüber zwei Wochen bis zur endgültigen Menge gestei gert werden(Tagesdosierun-
gen in Tab. 3). Dadurch versucht man dem Körper Gelegenheit zugeben, sich an die Neben-wirkungen zu gewöhnen. Bei Carbamazepin3werden nur Tabletten mit langsamer Frei-setzung empfohlen (sog.Retard-Tabletten).
5 Außerdem werden noch Oxcarbazepin und Lamotrigin beiNervenschmerzen eingesetzt.
Antikonvulsiva sind nur für
die Langzeittherapie gedacht,
eine Einnahme bei Bedarf ist
nicht sinnvoll.
MEDIKAMENT ÜBLICHEDOSIERUNG
MAXIMALEDOSIERUNG
Gabapentin 1800 mg 3600 mg
Pregabalin 300 mg 600 mg
Carbamazepin 600 mg 1600 mg
Oxcarbazepin 1000 mg 2400 mg
Lamotrigin 100 mg 200 mg
Tabelle 3: Tagesdosierungen zu Antikonvulsiva in derSchmerztherapie
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Wie bei den Antidepressiva sind alle Nebenwirkungen in derAnfangsphase stärker. Vor allem Müdigkeit, Stimmungsschwankungen,Gang- und Bewegungsunsicherheit kön-nen sehr ausgeprägtsein.Wirkeintritt: Die Wirkung tritt erst ein, wenn eineausreichende Gesamtdosis erreicht ist; der Wirkbeginn hängt somitvon der Geschwindigkeit der Aufdosierung ab. Dosierung: DieDosierungen der Präparate stehen in Tabelle 3. Die Tageshöchstdosissollte nicht überschritten werden, höhere Dosierungen bringen oftkeinen Vorteil, das heißt, man strebt eher Dosierungen im mittlerenBereich an, um die Neben wirkungen besser beherrschen zukönnen.Laborkontrollen: Kontrollen von Blutbild, Leberwerten undMineralstoffen (Elektrolyte) sowie bei Älteren und Herzkranken einEKG (wiederholen nach Erreichen der Enddosis) sind zu Beginn derTherapie und im Abstand von 3 – 6 Monaten erforderlich.Nebenwirkungen: Häufige Nebenwirkungen sind Beeinträchtigung derKonzentra tion und der Gedächtnisleistung, Schwindel,Gangunsicherheit, Sehstörungen, Wasseran-sammlungen (Ödeme) inHänden und Beinen sowie Gelenkschmerzen. Bei Carbama-zepin gibt esviele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, deren Wirksamkeitverstärkt oder in anderen Fällen vermindert wird (zum Beispiel dieder „Antibabypille“).Anwendungsbeschränkungen: Bei Patienten mitausgeprägter Herzschwäche sollten Antikonvulsiva nur nachgründlicher Abwägung der Alternativen eingesetzt werden. DieseMedikamente können auch die Stimmung beeinflussen: Dieses reichtvon einer im Regelfall positiven Beeinflussung bis hin zu einer neuauftretenden Reizbarkeit und Verstimmung. Sollten Nebenwirkungenwie Wasseransammlungen in den Beinen, Luft-not oderBeeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auftreten, ist dasMedikament nach Rücksprache mit Ihrem Arzt abzusetzen.
In der Phase der Eindosierung
sollten Sie nicht aktiv am
Straßenverkehr teilnehmen
oder an Maschinen arbeiten.
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4.4 Opioide
4.4.1 Allgemeine GesichtspunkteOpioide sind Schmerzmedikamente,die bei starken bis sehr starken Schmerzen einge-setzt werden. Manunterteilt sie allgemein in schwach wirksame und stark wirksameOpioide. Schwach wirksame Opioide sind zum Beispiel die MedikamenteCodein, Dihy-drocodein, Tramadol sowie auch Tilidin. Letzteres wirdin Deutschland nur zusammen mit Naloxon, einem Opiat-Gegenmittel(Fachausdruck: Antagonist) verabreicht. Diese Kombination sollteMissbrauch verhindern, ist aber vermutlich wie bei der Kombinati-onvon Naloxon mit Oxycodon (Einzelheiten dazu Kap. 4.5.5) auchsinnvoll, weil der Antagonist (Naloxon) nur im Darm gegen dieVerstopfung wirkt, aber nicht ins Gehirn gelangt. Daher bleibt derschmerzlindernde (analgetische) Effekt bei bessererVerträg-lichkeit unbeeinträchtigt. Stark wirksame Opioide sindbeispielsweise Morphium, Oxycodon, Hydromorphon, L-Methadon,Buprenorphin und Fentanyl. Sie sind nur mit Sonderrezeptverschreibbar, da es sich hierbei um Betäubungsmittel handelt.
4.4.1.1 Vorteile der Opioide in der SchmerztherapieDer Ruf derOpioide als Suchtmittel (oder gar als Rauschmittel oder Droge) undauch der Umstand, dass die meisten Opioide unter die besonderenBestimmungen der Betäubungsmittel verschreibungsverordnung (BtMVV)gestellt sind, erwecken bei den Patienten leicht den Eindruck, dasses sich bei Opioiden um eine besonders gefährliche und risikoreicheMedikamentengruppe handelt, die nur den schwersten Fällen undviel-leicht auch nur der Therapie am Ende des Lebens vorbehaltensein sollte. Diese Auffas-sung ist falsch: Natürlich haben OpioideNebenwirkungen, die in dieser Broschüre auch sehr ausführlichbeschrieben werden, dieses darf aber nicht den Blick daraufverstellen, dass diese Substanz gruppe wesentliche Vorteileaufweist.
Opioide haben eine Vielzahl von Vorteilen auch im Vergleich zuso genannten schwachen Schmerzmitteln: 1. Opioide haben beirichtiger Anwendung und Beachtung der seltenen, aber wichti-genGegenanzeigen ein sehr geringes Risiko einer dauerhaften Schädigungvon Orga-nen. Entzündungshemmer können hingegen zu dauerhaftenNieren- und Leberschäden führen, sie können Blutungen verursachenund gehören zu jener Medikamentengruppe, die am häufigsten mitTodesfällen in Verbindung gebracht werden (siehe Kap. 4.2.3, ab S.21). Alle Nicht-Opioide können Blutbildveränderungen hervorrufen,die zu einer Schwächung des Abwehrsystems führen. Dennoch werdendiese Medikamente viel häu-figer in Deutschland genommen alsOpioide und einige sind sogar rezeptfrei erhältlich. Demgegenüberführt die Langzeittherapie mit Opioiden weder zu einemNierenschaden, noch zu Lebererkrankungen, noch zuBlutbildveränderungen oder zu einer dauerhaften Beeinträchtigungder Herz- und Lungenfunktion.
Ohne Opioide ist die
Behandlung schwerer Schmerz-
zustände oft unmöglich!
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2. Alle Opioidwirkungen und auch die Nebenwirkungen sindvollständig rück-bildungsfähig (Fachausdruck: reversibel): Wenn dasOpioid abgesetzt wird oder eine zu hohe Dosis reduziert wird,verschwinden auch die Nebenwirkungen: Es bleiben also keineDauerschäden. Es gibt nur wenige Medikamente in der Medizin, vondenen man derartiges sagen kann. 3. Bei der Therapie mit Opioidenkann der Arzt relativ schnell feststellen, ob der Patient vondiesen Medikamenten profitiert. Er muss nicht, wie bei denAntidepressiva, zwei bis drei Wochen abwarten (vgl. Kap. 4.3.1), umzu beurteilen, ob ein ausreichender Effekt eintritt. Wenn Opioidewirken, bemerkt der Patient dies rasch, sogar unter einerniedri-gen Dosis. In vielen Fällen wird sich dadurch zunächst derNachtschlaf verbessern und die Schmerzspitzen verschwinden.Anschließend kann dann eine angemessene Dosis für den Dauerschmerzgefunden werden. 4. Es stehen inzwischen eine Vielzahl vonannähernd gleich wirksamen Opioiden zur Verfügung. Bestehen alsospezielle Bedenken gegen eine dieser Substanzen, wie im Falle vonschweren Organerkrankungen wie Leber- und Nierenerkrankungen, istnahezu immer ein Wechsel von einem zu einem anderen gleich starkenOpioid möglich.
4.4.1.2 Opioide bei AtemnotDie besonderen Vorteile der Opioidekönnen am Beispiel der Atemnot erklärt werden: Eine gefürchteteNebenwirkung aller Opioide ist die Schwächung des Atemantriebes.Drogenabhängige oder auch versehentlich hochgradig überdosiertePatienten können derart beeinträchtigt sein, dass die normaleAtmung aufhört. In der Regel kommt es jedoch erst zu einerdeutlichen Verlangsamung der Atmung. Wichtigste Alarmzeichen sind:Eine Atemfrequenz unter 10 Zügen pro Minute oder ein Luftholendurch den Pati-enten nur noch nach Aufforderung.Es mag daherüberraschen, dass umgekehrt Opioide bei Patienten mit hochgradigerAtemnot aufgrund von Lungenerkrankungen sinnvoll eingesetzt werdenkönnen. Früher hatten Ärzte hier außerordentliche Bedenken, heutesind jedoch die wissenschaftlichen Daten eindeutig. Patienten mitschwerer Luftnot (vor allen Dingen bei Krebserkrankungen, aber auchbei fortgeschrittener Lungenerkrankung) haben einen Nutzen voneiner niedrig dosierten Opioidtherapie; vor allem mit Morphin undHydromorphon (vergl. Kap. 4.5.4). Die Pati-enten werden dadurchnicht müder, sondern eher wacher und kräftiger. Denn die Opi-oidesenken den Atemantrieb und dadurch die ungünstige schnelle Atmung,welche die Atemnot verstärkt. Daher setzen erfahreneLungenfachärzte heute Opioide auch zur Behandlung der sonst nichtmehr beherrschbaren Luftnot ein. Dies ist ein Beispiel dafür, dassdie Nebenwirkungen eines Medikamentes auch medizinisch sinnvollgenutzt werden können.
Wichtig: Bei verlangsamter At-
mung (weniger als 10 Atemzü-
ge pro Minute)muss sofort ein
Arzt alarmiert werden, außer-
halb des Krankenhauses auch
ein Notarzt. Bis dahin kann
aber in der Regel durch starke
Reize (Schütteln, Sprechen mit
dem Patienten) das Schlimmste
verhindert werden.
30
4.4.1.3 Nachteile der Opioide in der SchmerztherapieDennochhaben Opioide auch Nachteile. Die einzelnen Nebenwirkungen werdenweiter unten geschildert (siehe Kap. 5). Ein genereller Nachteilist, dass selbst Opioide nicht immer helfen: So gibt es eine Reihevon Schmerzzuständen, die nicht oder nicht ausreichend auf Opioidereagieren. Hierzu zählen zum Beispiel entzündlich bedingteSchmerzen (vgl. Kap. 2.4), Kopfschmerzen, verschiedeneEingeweideschmerzen (zum Beispiel beim Reizdarm, dem Kolonirritabi-le), manche Nervenschmerzen (zum BeispielTrigeminusneuralgie) und die Fibromyalgie (siehe Tabelle 1).
Ein weiterer Nachteil ist, dass Opioide bei hoher Dosis selbstSchmerzen auslösen kön-nen. Die Patienten klagen dann über eineÜberempfindlichkeit, starke Rücken- und Ge-lenkschmerzen. Dieeinzige sinnvolle Therapie ist dann der Entzug der Opioide (sieheKap. 4.4.2.9), der hier nicht zur Schmerzverstärkung, sondern imGegenteil zur Schmerz-linderung führt. Neue Studien geben Hinweise,dass einige Opioide in höherer Dosis bei alten Menschen miterhöhter Sturzanfälligkeit verbunden sind.
4.4.1.4 Abhängigkeit, Sucht und Opioide Viele Menschen fürchten,dass sie von den ihnen verschriebenen Schmerzmitteln abhän-gigwerden könnten. Diese Sorge ist nicht völlig unbegründet, denn alleSchmerzmittel, nicht nur die Opioide, können eine Abhängigkeitbegünstigen.
Opioide, sowohl schwächere als auch stärkere, können zukörperlicher und seelischer Abhängigkeit führen. Vergleicht manaber das Abhängigkeitsrisiko beispielsweise mit dem von Schlaf- undBeruhigungsmitteln, so ist Letzteres ungleich höher.
Körperliche Abhängigkeit entsteht fast immer bei längererOpioideinnahme. Körperliche Abhängigkeit bedeutet aber nur, dassbei unvorsichtigem - also zu schnellem Absetzen der Substanz - derKörper mit Entzugsymptomen reagiert. Denn das Gehirn produziertweniger Botenstoffe wie Dopamin, wenn dem Körper künstlicheSubstanzen (z.B. Opi-oide) zugeführt werden, die zum Beispiel aufdas Belohnungssystem wirken. Im Entzug fehlen die eigenenBotenstoff, bis sich der Organismus wieder umstellt. Opioidevermin-dern oder verändern die Produktion von vielen Hormonen (zumBeispiel von Adrenalin), die nach dem Entzug vermehrt ausgeschüttetwerden. Die Folgen sind Herzjagen und bei Gefährdeten auch schwereund gefährliche Herzreaktionen (siehe Kap. 4.4.2.9).
Seelische Abhängigkeit, also die Entstehung einerSuchterkrankung (siehe dazu auch Kap. 5.2), ist unter einer richtigdurchgeführten Opioidtherapie selten. Aber sie kann auftreten,vermutlich häufiger unter stark- und schwach wirksamen Opioiden alsunter anderen Schmerzmitteln. Prominente Medikamentenabhängige derjüngsten Zeit sind tragische Beispiele für solche Situationen undzeigen die Gefährlichkeit dieser Erkran-
Am schwächsten wirken
Opioide bei Schmerzen, die
teilweise oder hauptsächlich
seelisch bedingt sind
(siehe Kap. 2.5).
Bei einer gut durchgeführten
Schmerztherapie besteht
generell nur ein geringes
Abhängigkeitsrisiko. Eine gute
Schmerztherapie zeichnet
sich auch dadurch aus, dass
nur Medikamente gegeben
werden, die auch wirklich
Schmerzen lindern, andern-
falls gehören Medikamente
wieder abgesetzt. Bei diesem
Vorgehen ist auch das
Suchtrisiko sehr gering.
Generell gilt: Je besser
Schmerz mittel beim Einzelnen
wirken und je mehr Schmerz-
linderung sie erzeugen, desto
geringer ist das Risiko einer
Abhängigkeit. Und umgekehrt:
Je weniger Schmerzmittel
helfen und je öfter deshalb die
Dosis gesteigert wird, desto
häufiger entwickelt sich eine
Suchtproblematik.
31
kung. Die Suchterkrankung oder seelische Abhängigkeit führt zueinem bestimmten eingeengten Verhalten und unter Umständen zuanderen Symptomen, die im Kap. 5.2 beschrieben werden.
Ein Suchtproblem entsteht aber gehäuft, wenn• Opioide insteigender Dosis gegeben werden, obwohl sie die vorhandenenSchmerzen
gar nicht lindern, oder wenn sie genommen werden beiSchmerzerkrankungen, bei denen Opioide ohnehin wenig helfen (sieheKap. 4.1.1.3);
• zusätzlich oder sogar ausschließlich kurzwirksame Opioidegenommen werden, z.B. Tilidin-Tropfen oder die speziellenFentanyl-Zubereitungen, oder Nasensprays, die ext-rem rasch imGehirn anfluten (siehe dazu Kap. 4.4.2.2, S. 32 );
• sich Patienten selbst Opioidinjektionen geben oder regelmäßigvon Ärzten erhalten; • Patienten mit einer schon zuvor bestehenden,nicht behandelten Suchterkrankung (Al-
kohol, Kettenraucher, Beruhigungs- oderSchlafmittelabhängigkeit) Opioide erhalten und diese dann in ihreSucht »einordnen«;
• Patienten, die unter schweren seelischen Erkrankungen, wieAngst- und Paniker-krankungen oder Depressionen leiden, ohnepsychologische Unterstützung Opioide erhalten und dann entdecken,dass ihre schlimmsten Symptome dadurch vorüberge-hend gemildertwerden.
Sollte eines dieser Probleme auch bei Ihnen bestehen oderSymptome einer Abhängig keit vorliegen, die in Kap. 5.2 besprochenwerden, sollten Sie Ihren Arzt darauf ansprechen.
4.4.2 EinnahmeregelnFür alle Opioide gelten einige allgemeine,immer einzuhaltende Regeln. Hierzu zählt, dass sie regelmäßigeingenommen werden müssen und jede Änderung der Dosis nur nachRücksprache mit Ihrem Arzt erfolgen sollte. Opioide sind imRegelfall sehr gut verträgliche und nicht organschädigendeMedikamente, die daher auch über einen sehr langen Zeitraumunbedenklich eingenommen werden können. Die unerwünschtenNe-benwirkungen sind bei allen Präparaten vergleichbar und beientsprechender Behand-lung gut beherrschbar.
4.4.2.1 Langwirksame OpioideOpioide können als Tabletten,Kapseln, Tropfen oder Zäpfchen sowie als Pflasterzuberei-tung (sog.transdermale Systeme) verabreicht werden. Injektionen sind außerbei Son-derfällen, wie der Behandlung von Operationsschmerzen odervon starken Schmerzen im Endstadium einer schweren Erkrankung,nicht nur überflüssig, belastend und schmerzhaft, sondern darüberhinaus mit einem besonderen Suchtrisiko verknüpft.
Körperliche Entzugssympto-
me sind kein Beweis für eine
Sucht erkrankung oder psychi-
sche Abhängigkeit, auch bei
anderen Medikamenten, die
in den Stoffwechsel eingrei-
fen, kann es zu körperlichen
Entzugssymptomen kommen
(zum Beispiel bei Blutdruckme-
dikamenten).
Intramuskuläre Injektionen
sind heute nicht mehr vertret-
bar. Subkutane (direkt unter
die Haut) oder intravenöse
Schmerzmittelinjektionen
sind nur bei schwerst kranken
Patienten mit starken
Schmerzen sinnvoll, bei denen
eine Nahrungsaufnahme
nicht mehr möglich ist. Als
Langzeittherapie ist diese
Verabreichungsform gefähr-
lich. Alle Schmerzmittel wirken
als Tabletten oder Kapseln, in
bestimmten Fällen auch als
Pflaster, so dass kein Patient
auf Injektionen angewiesen ist.
32
In früheren Jahrzehnten gab es für Schmerzpatienten nur Spritzenoder Morphium-Trop-fen. Letztere wirkten so kurz, dass zum BeispielPatienten mit Krebsschmerzen nachts geweckt werden mussten, damitder Wirkspiegel nicht abfiel. Eine der wichtigstenEr-rungenschaften für Schmerzpatienten war die Einführung vonlangwirksamen Opioiden, so genannten Retardtabletten. Hierdurch wares erstmals möglich, mit zwei- bis drei-maliger Einnahme einerTablette für 24 Stunden eine Schmerzlinderung zu erreichen, so dassauch der Nachtschlaf gesichert werden konnte.
Durch die Retard-Zubereitung wird ein an und für sich nur wenigeStunden wirksames Medikament so langsam im Darm freigesetzt, dassde facto eine 6, 8, 12 Stunden oder sogar länger andauernde Wirkungmöglich ist. Retard-Tabletten haben einen weiteren Vorteil: ImGegensatz zu schnell freisetzenden Opioiden kommt es nicht zu einerüber-schießenden Anflutung im Blut und im Gehirn. Es gibt einigeOpioide wie Buprenorphin (vgl. Kap. 4.5.7) oder auch L-Methadon(vgl. Kap. 4.5.6), die von sich aus eine so lang-sameVerstoffwechselung haben. Ihre Wirkdauer gleicht denen derRetard-Tabletten, allerdings setzt die Wirkung dieser Präparateschneller ein.
4.4.2.2 Wann sind schnell freisetzende Opioide sinnvoll?Schnellfreisetzende Opioide gehören aus diesem Grund nicht zur Standardtherapie chronischer Schmerzen, denn sie haben ein höheresAbhängigkeitsrisiko und er zeugen häufiger Nebenwirkungen wieMüdigkeit und Verwirrung. Von dieser Regel gibt es wenigeAusnahmen: Schnell freisetzende Opioide können bei einigen schwerenErkrankungen sinnvoll sein, und zwar dann, wenn es trotz einerBa-sistherapie mit langwirksamen Opioiden öfter zu kurzfristigenund unvorher sehbaren Schmerzspitzen kommt (Fachausdruck:Durchbruchschmerz), wie z. B. bei Krebsschmer-zen oder bei seltenenErkrankungen wie Sichelzellanämie. Hierfür sind einige spezielleMedikamente zugelassen (siehe zum Beispiel Fentanyl, S. 40). Auchbei Dialysepatien-ten kann ein solches Problem bestehen. Kurzwirksame Opioide können auch genutzt werden, um schnell dierichtige Dosis der Dauermedikamente zu ermitteln. Dieses solltedann jedoch in wenigen Tagen geschehen, so dass die Einnahmekurzwirksamer Opioide nur von begrenzter Dauer ist.Wenn Patientendauerhaft Bedarf an solchen schnell freisetzenden Opioiden haben,be-deutet das in der Regel, dass• entweder die Dosierung derlangwirksamen Opioide zu niedrig ist oder• kein mit Opioidenbehandelbarer Schmerz vorliegt, weshalb zu immer höheren Dosen
gegriffen wird oder• eine seelische Abhängigkeit vorliegt (sieheKap. 4.4.1.4 und Kap. 5.2).
Retard-Präparate gibt es
heute für Morphium, für
Oxycodon, für Hydromor-
phon, für Tramadol und Tilidin.
Buprenorphin und L-Methadon
wirken ohnehin sehr lange.
Zubereitungen, bei denen es
zu einer schnellen Freisetzung
kommt, sind im Regelfall in
der Schmerztherapie un-
günstiger als langwirksame
Opioide. Bei den lang wir-
kenden Opioiden treten viele
Nebenwirkungen seltener auf
und auch die Suchtgefahr ist
deutlich geringer. Ähnliches
gilt für Pflasterzubereitun-
gen, bei denen der Wirkstoff
kontrolliert durch die Haut in
die Blutgefäße eindringt.
Eine mehrwöchige oder gar
mehrmonatige Einnahme von
kurz wirksamen Schmerzmit-
teln ist immer ein Hinweis auf
eine nicht optimale Schmerz-
therapie. Sprechen Sie darüber
mit Ihrem Arzt! Eine Therapie
chronischer Schmerzen nur mit
kurz wirkenden Opioiden ist
fast immer ein Behandlungs-
fehler.
33
4.4.2.3 Vor- und Nachteile der Opioidpflaster»Schmerzpflaster«gibt es heute mit Fentanyl und Buprenorphin. Die Dosis ist umsohöher, je größer das Pflaster ist. Durch Spezialmembranen in diesenPflastern wandern diese Medikamente sehr langsam durch die Haut undreichern sich unterhalb in Depots an. Sie gehen dann langsam in dasBlutsystem und dann in das Gehirn über. Die Opioidgabe überPflaster hat einige Vorteile: Dem Patienten wird dieTablettenein-nahme erspart. Menschen, bei denen eine regelmäßigeTabletteneinnahme aus unter-schiedlichen Gründen nichtgewährleistet ist, können so besser eine sichere, anhaltendeSchmerztherapie erfahren. Auch bei Schluckstörungen haben diePflaster Vorteile (Alter-native hier: Morphiumhaltige Lösungen).Die Pflasterverabreichung hat jedoch auch Nachteile, die bisweilenunterschätzt wer-den: Einige Patienten vertragen die Pflasternicht, obwohl hierbei sehr hautfreundliche Materialien eingesetztwerden. Bei starkem Schwitzen ist die Verwendung hautfreund-licherMaterialien zum Schutz der Haut aber nicht ausreichend.
Das Hauptproblem ist jedoch, dass die ununterbrochene Zufuhrdurch die Haut zu Spei-cherdepots führt. Kommt es zu einerversehentlichen Überdosierung mit Tabletten, tritt in der Regelstarke Müdigkeit oder Erbrechen auf. Dadurch wird die Zufuhr„automa-tisch“ unterbrochen. Bei einem versehentlich zu großemPflaster funktioniert dieser Si-cherheitsmechanismus nicht. Hinzukommt, dass der von den Herstellern empfohlenen Pflasterwechselalle drei Tage bei einem Teil der Patienten zu spät erfolgt. DiesePatien-ten haben nicht selten (vor allen Dingen bei relativerUnterdosierung) bereits am drit-ten Tag Entzugsymptome wieSchmerzzunahme, Zittern, Gliederschmerzen und heftige Ängste. EineVerkürzung der Pflasterverweildauer bzw. ein Wechsel alle zwei Tagekann hier Abhilfe schaffen.
Darüber hinaus zeigt die klinische Erfahrung insbesondere beiPatienten mit fortge-schrittenem Krebsleiden, aber auch bei älterenPatienten, dass die Pflaster hier an Wirk-samkeit verlieren können.Eine Steigerung zu immer größeren Pflastern (bzw. mehreren) istproblematisch. Die Erfahrungen in Schmerzkliniken zeigen, dassPatienten mit Pflas-tern sehr häufig eine zusätzliche Einnahme vonanderen Opioiden vornehmen; das muss als Hinweis auf die nichtausreichende Wirksamkeit gesehen werden.
4.4.2.4 Kombinationen von mehreren Opioiden Die Kombination vonmehren Opioiden ist fast immer unsinnig und kann sogar zumWirkverlust führen. Hierzu zählt vor allem die gleichzeitige Gabevon starken und schwa-chen Opioiden wie Morphium und Tramadol (oderTilidin plus Naloxon).
Wenn ein Pflaster abgesetzt
oder die Dosis verändert
wird, dauert es 6 - 12 Stunden,
bis dieses sich auf die Wirk-
konzentration im Körper
tatsächlich auswirkt. Im Falle
einer Überdosierung muss ein
Patient deshalb unter ständiger
Überwachung bleiben.
Die Einnahme von zwei Opio-
iden (zum Beispiel als Pflaster
und als Tabletten) ist immer
nur eine Notlösung, auf Dauer
niemals medizinisch notwendig,
sondern dann eher ein Hinweis
auf eine nicht richtig durchge-
führte Schmerztherapie!
34
4.4.2.5 Kombinationen von Opioiden mit anderen SchmerzmittelnGrundsätzlich ist es sinnvoll, verschiedene Schmerzmittelmiteinander zu kombinieren, aber nur dann, wenn sie einenunterschiedlichen Angriffspunkt im Körper haben. In diesem Fallkann die Dosis der einzelnen Substanzen vermindert werden und damitsinkt deren jeweilige Gefährlichkeit und die Ausprägung derNebenwirkungen. Ein gutes Beispiel ist die gleichzeitige Gabe einesentzündungshemmenden Schmerz-medikamentes (NSAR, vgl. Kap. 4.2.3und 4.2.4) zusammen mit einem starken Opioid (zum BeispielHydromorphon) bei Krebsschmerzen. Das erste Medikament wirkt gegendie schmerzverstärkende Schwellung, und das zweite lindert dieschweren Nerven- und Gewebeschmerzen. Ohne diese Kombination müssteman eventuell sehr viel mehr Opi-oide geben. Ein anderes Beispielist die gleichzeitige Gabe von krampflösenden Medikamenten wieMetamizol (Kap. 4.2.2) bei Krebsschmerzen oder bei der chronischenBauchspeichel-drüsenentzündung (Pankreatitis), eventuell zusammenmit abschwellend wirksamen Mitteln wie NSAR (Kap. 4.2.3 und 4.2.4)und einem starken Opioid wie zum Beispiel Oxycodon. Ein drittesBeispiel ist die gleichzeitige Gabe von einem Antikonvulsivum(Gabapentin oder Pregabalin, Kap. 4.3.2) und einem Antidepressivum(Kap. 4.3) bei starken Ner-venschmerzen, wie z. B. nach einerNerven- oder Rückenmarkverletzung oder bei einer Polyneuropathiez.B. durch einen Diabetes. Bei nicht ausreichender Wirkung könnendiese Medikamente zudem auch sinnvoll mit einem Opioid kombiniertwerden.
4.4.2.6 Kann ein Wechsel der Opioide sinnvoll sein?Die Antwortauf diese Frage lautet eindeutig JA! Es gibt durchaus Menschen, diebei ei-nem bestimmten starken Opioid keine Wirkung zeigen, währendsie bei einem Wechsel zu einer anderen ähnlich wirkenden Substanzeine sehr befriedigende Schmerzlinderung erfahren. Die Ursachendafür sind nur teilweise bekannt, zum Beispiel gibt es genetischeUnterschiede: Einige Medikamente werden von bestimmten Menschenschlechter oder zu schnell verarbeitet. In den meisten Fällen kenntman aber die Ursache der unter-schiedlichen Wirkung nicht. Wennalso eine bestimmte Substanz (zum Beispiel Morphi-um) nicht gutwirkt und es keine Gegenanzeigen aus ärztlicher Sicht gibt, ist derWechsel zu einem anderen Präparat (zum Beispiel Oxycodon) imEinzelfall durchaus sinnvoll.
4.4.2.7 DosissteigerungEine Dosis eines Opioids muss bisweilengesteigert werden, wenn die Krankheit oder die Symptome sichverschlechtern. Wenn die Dosiserhöhung dazu führt, dass IhreSchmer-zen langfristig wieder besser kontrollierbar sind, sprichtdas gegen die Annahme, dass Sie süchtig sind. Von einerSuchterkrankung oder Opioidabhängigkeit sind Menschen bei einerDosisstei-gerung bedroht, wenn
Beim Wechsel von einem auf
ein anderes Opioid muss man
eventuell das neue Präparat
langsam aufdosieren. Wie zu
Beginn der Therapie können
an den ersten Tagen vermehrt
Nebenwirkungen auftreten.
So ist zum Beispiel Auto-
fahren während der Zeit der
Umstellung nicht erlaubt!
35
• Opioide oder andere Medikamente von Beginn an wenig oder garnicht geholfen haben,
• trotz Dosiserhöhung die Schmerzen nicht abnehmen oder sogarzunehmen,• die Dosiserhöhung nur zu mehr Nebenwirkungen führt,•Schlafstörungen zunehmen,• andere seelischen Störungenzunehmen.
4.4.2.8 Rückenmarknahe Opioidtherapie Es ist in der Tat möglich,Opioide direkt an das Rückenmark zu geben. Dieses wird nachOperationen und in der Geburtshilfe auch sehr erfolgreicheingesetzt. Die Dosierung ist dann sehr niedrig und einigeNebenwirkungen deshalb seltener. Nur in sehr seltenen Fällen istder Einsatz rückenmarknaher Opioidgaben bei chronischen Schmerzenoder auch beim Tumorschmerz erforderlich. Die Therapie ist aufgrundmöglicher Rücken-markschäden gefährlicher als die oraleEinnahme.
4.4.2.9 Beendigung der Opioidtherapie Opioide erzeugen in jedemFall ab einer gewissen Dosis und Dauer der Einnahme eine mehr oderweniger ausgeprägte körperliche Gewöhnung, die sich inEntzugssymptomen beim Absetzen äußern kann (näheres hierzu, sieheS. 30).Die Symptome sind meist unangenehm und seelisch undkörperlich belastend. Abgese-hen von einer möglichen Schmerzzunahmekann es auch zu einer vermehrten Darmtätig-keit und Durchfallkommen. Die erhöhte Darmbewegung kann dann zu Bauchschmerzen undKoliken führen. Dieses Problem verstärkt sich, wenn trotz Absetzender Opioide Mittel gegen Verstopfung weiter eingenommen werden.Viel häufiger ist jedoch eine starke Kreislaufreaktion, die mitHerzklopfen und einem Anstieg des Blutdrucks einhergeht. DieseReaktion ist bei Herzkranken unter Umständen gefährlich und kannsogar zu bedrohlichen Ereignissen, wie einer Herz muskelschwächeund Herzrhythmusstörungen, führen. Auch der Wasserhaushalt kann imEntzug gestört sein, was ebenfalls schwere Kreislaufreaktionen zurFolge haben kann. Die häufigsten Symptome des Entzugs sindAngstgefühle, das Gefühl einer Wesens-veränderung, inneres Zitternund sehr selten das Auftreten von Doppelbildern, Wahnideen oderÄhnlichem. Dieses ist für die Betroffenen sehr belastend, aberselten lebensgefährlich. Eine früher bestehende Depression kannsich verstärken. Alle diese Symptome sind jedochbehandelbar.Konsequenzen:• Setzen Sie niemals Opioide nach längererEinnahme ab, ohne vorher mit Ihrem Arzt
zu sprechen!• Entzugserscheinungen sind bedrohlich beiHerzkranken und anderen Menschen mit
gravierenden internistischen Erkrankungen. • Bei höheren Dosenvon Opioiden muss ein Ausschleichen oder Absetzen unter ärztli-
cher Aufsicht – in der Regel also stationär – erfolgen.
Anders ausgedrückt: Je
schlechter Opioide von Beginn
an wirken, desto eher werden
der Patient und der Arzt in der
besten Absicht zu höheren Do-
sen greifen – woraus sich dann
tatsächlich eine Suchtkrankheit
entwickeln kann.
Wenn Opioide abgesetzt wer-
den, immer auch alle Medika-
mente gegen Verstopfung mit
absetzen!
Bedrohliche Kreislaufreak-
tionen treten jedoch nur bei
sehr raschem und abruptem
Absetzen von relativ hohen
Opioiddosierungen auf. Daher
ist vor jedem Absetzen von
Opioiden der Arzt zu befragen,
ob besondere Risiken vorliegen.
36
4.5 Besonderheiten einzelner Opioide
4.5.1 Tramadol Wirkweise: Tramadol zählt zu den schwachwirksamen Opioiden und wird bei mäßigen bis starken Schmerzeneingesetzt. Anwendungsregeln: Wie bei allen Opioiden sollteTramadol bei chronischen Schmerzen nicht bei Bedarf, sondern infesten Zeitabständen eingenommen werden. Langwirk-same, alsoretardierte Präparate sind vorzuziehen, denn sie haben einenlangsameren Wirkungseintritt und eine längere Wirkdauer.Kurzwirksame Zubereitungen (besonders Tropfen) sollten nur inAusnahmefällen genutzt werden.Wirkeintritt: Die Wirkung derretardierten Präparate setzt nach 45 bis 60 Minuten ein. Bei denkurz wirksamen Präparaten beginnt die Wirkung nach 15 bis 20Minuten.Dosierung: Tramadol sollte zwei- bis dreimal am Tag ingleicher Dosis eingenommen werden. So fängt man zum Beispiel mit 2bis 3 x 50 mg an. In Abhängigkeit von der Schmerzstärke kann dasMedikament bis zu einer Tageshöchstdosis von 2 bis 3 x 200 mg proTag gesteige
(PDF) UMGANG MIT SCHMERZMITTELN - bergmannsheil.de · 3 4.5 Besonderheiten einzelner Opioide 36 4.5.1 Tramadol 36 4.5.2. Tilidin plus Naloxon 36 4.5.3 Tapentadol 37 4.5.4 Morphium und Hydromorphon - DOKUMEN.TIPS (2023)
Author: Clemencia Bogisich Ret
Last Updated: 10/05/2023
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Name: Clemencia Bogisich Ret
Birthday: 2001-07-17
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Job: Central Hospitality Director
Hobby: Yoga, Electronics, Rafting, Lockpicking, Inline skating, Puzzles, scrapbook
Introduction: My name is Clemencia Bogisich Ret, I am a super, outstanding, graceful, friendly, vast, comfortable, agreeable person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.